Ost-Friesland

[497] Ost-Friesland, Fürstenthum, zum Königreich Hannover gehörig u. dessen nordwestlichsten Theil als die Landdrostei Aurich bildend, grenzt an die Nordsee, Oldenburg, die hannöverische Landdrostei Meppen u. die Niederlande; hat 54,48 QM. mit (1848) 89,600 Ew.; der ebene, mit einigen niedrigen Hügeln, worauf meist die Ortschaften angelegt sind, besetzte Boden wird durch große Deiche (durch die Springfluth im November 1826 gesprengt) gegen das Meer geschützt, welches die Meerbusen Dollard u. Leisand bildet; ist Moor- (zum Torfstich u. Buchweizenbau), Sand- (etwas tragbar) u. Marschland, zum Theil eingepoldert, aber holzarm u. wird von der Ems u. Leda u. mehren, theils zur [497] Schifffahrt, theils zur Entwässerung dienenden Kanälen, sowie von bedeutenden Seen (Woltmer, Düvels-, Brokzetelermeer) bewässert; die Küste ist fast ringsum von Sandbänken umgeben u. an ihr liegen die Inseln Juist, Norderney, Baltrum, Langeroge, Wangeroge u. Spikeroge. Die Einw. treiben Ackerbau, Viehzucht (schöne Racen von Hornvieh u. Pferden, deren Zucht unter besonderer Aufsicht steht, Gänse), Fischerei (auch auf Austern u. Häringe), Torfgräberei (Vehne, sehr wichtig fürs Land, mit Kanälen zur Abführung des überflüssigen Wassers u. des Torfs); fertigen leinene u. wollene Waaren, Bier, Seife, Lichter u. treiben Handel zur See mit den Landeserzeugnissen (Mastvieh, Butter, Käse, Pferde etc.) u. Schifffahrt. Die Ostfriesische Eisenbahn (Rheine-Emden) durchschneidet das Fürstenthum; die bedeutendste Stadt desselben ist Emden. O. hat noch alte Rechte u. Freiheiten, auch Landstände, bestehend aus Deputirten u. Administratoren, u. eigene Collegien. Die meisten Rittergüter sind in den Händen der Bürger u. Bauern. Wappen: ein goldener Adler mit einem Jungfrauenkopf u. 4 goldenen Sternen in Schwarz. Gegenwärtig rechnet man in O. wie in Hannover, s.d. (Geogr.), nach Thalern zu 30 Silbergroschen, doch im gewöhnlichen Verkehr auch noch nach Thalern zu 54 Stübern (27 Schaap) ostfriesisch, od. auch nach Gulden zu 20 Stübern à 10 Witten od. zu 10 Schaap à 20 Witten, 37,8 Gulden ostfriesisch = 1 Feine Mark, 1 Gulden = 11 Sgr. 11/3 Pf. preuß. Maße u. Gewichte sind die hannöverischen; die noch erlaubten alten Maße sind: der Haspel Lein- od. Wollengarn ist 17/8 Emdner od. 23/20, hannöv. Ellen in Umfang; der Diemat hat 400 preuß. Q Ruthen à 12 QFuß = 2,16475 (21/6) hannöv. Morgen; das Gras hat 300 solche QRuthen = 1,82356 (15/8) hannöverische Morgen; 4 Diemat – 100 Tagewerk; das Moor-Diemat hat 450 preuß. QRuthen à 15 preuß. Fuß od. 3,80523 (34/5) neue hannöv. Morgen. Getreidemaß: die Last hat 15 Tonnen à 4 Vierup (Vierdup od. Veerp) à 2 Scheffel à 2 Vatjes (Fäßchen) à 9 Krug; Flüssigkeitsmaße: der Krug (Kanne) ist hier getheilt in 4 Ort à 4 Viertelort od. Maatjes.

Ostfriesland bestand im Mittelalter aus vielen kleinen Herrschaften, welche unter einzelnen Häuptlingen standen; von diesen thaten sich bes. hervor die zu Grethsyhl. Der erste bekannte Herr ist Cirksena (Sirksena), ein Vornehmer aus Norden; ihm folgte in der Mitte des 13. Jahrh. sein Sohn Edzard I., welcher Ludwig den Heiligen nach dem Gelobten Lande begleitete u. deshalb die Erlaubniß bekam, die französische Lilie in sein Wappen zu setzen. Sein Sohn Ennon folgte ihm in den Herrschaften Grethsyhl u. Norden; unter dessen Enkel Ennon Edzarsna, Sohn Edzars II wurde O. von den Parteistreiten der Herren so verwüstet, daß viele Bewohner von Brock, Emden, Osterhausen u. Lehen sich ihm unterwarfen; er st. 1430, u. sein Sohn Edzard (III). I. wurde von dem größten Theil der Bewohner O-s als Herr anerkannt; er besaß auch Barum, Aurich u. Stickhausen. Ihm folgte 1441 sein Bruder Ulrich I., welchen Kaiser Friedrich III. 1454 mit allen seinen Nachkommen in den Grafenstand erhob, da er dem Kaiser sein Land zu Lehen auftrug. Ihm unterwarfen sich die andern ostfriesischen Herren, u. er verband sich 1453 mit Hamburg, machte 1455 Handelsverträge mit Holland, Zeeland u. Westfriesland u. 1457 mit Gröningen. Ihm folgte 1466 sein Sohn Ennon (III.) I. unter der Regentschaft seiner Mutter Theda, welche 1472–75, sowie 1485–1486 Krieg gegen den Grafen von Oldenburg führte. 1491 ertrank Ennon, u. ihm folgte 1492 sein Bruder Edzard (IV.) II. Er hatte viele Kriege mit den Nachbarn, u.a. 1514 einen (Friesischer Krieg) gegen Herzog Heinrich von Braunschweig wegen Budjading, welches ihm 1499 gehuldigt hatte. Er half dem König Karl I. von Spanien in dem Geldernschen Kriegen wurde deshalb von demselben zum Gouverneur von Gröningen ernannt. 1515 ließ er das Ostfriesische Gesetz sammeln, führte das Recht der Erstgeburt ein, begünstigte die Reformation in seinen Staaten u. nahm selbst 1519 die Lutherische Lehre an. Sein Sohn Ennon (IV.) II., seit 1528, hatte lange u. unglückliche Kriege mit Balthasar, Herrn von Eisen, u. st. 1540. Sein Sohn Edzard (V.) III. folgte unter der Vormundschaft seiner Mutter Anna, welche 1545 einen Vertrag mit Hamburg machte, welches ganz auf Emden verzichtete, u. 1557 einen Handelsvertrag mit Schweden schloß. Obgleich sein Großvater das Erstgeburtsrecht eingeführt hatte, so gab doch der Kaiser Ferdinand 1558 auch den zwei Brüdern des Grafen die Belehnung mit der Grafschaft, woraus mancherlei Streitigkeiten mit denselben entsprangen; bes. hatte O. bei den Bürgerkriegen in den Niederlanden zu leiden, denn oft hielten sich die Truppen beider Parteien hier auf, u. der Geist der Unabhängigkeit theilte sich den Ostfriesländern mit. Als Johann, Bruder des Grafen, zum reformirten Bekenntniß übergetreten war, machte dasselbe in O. große Fortschritte, bes. brach in Emden ein Aufstand aus, in dessen Folge der Graf 15. Juli 1595 einen Vergleich zu Delssyhl schließen u. darin mehre Zugeständnisse in religiöser u. bürgerlicher Hinsicht machen mußte. Aber der Kaiser erklärte diesen Vergleich den 6. Novbr. 1595 für uichtig. 1595 wurden neue Klagen von Emden wegen übergroßer Besteuerung der Einfuhr erhoben, u. auch in andern Städten zeigten sich Unruhen. Die Verdrießlichkeiten mit u. wegen Emden hörten auch unter seinem Sohne Ennon (V.) III., welcher ihm 1600 folgte, nicht auf, bes. war fortwährend Streit mit Holland über die Erhaltung der Besatzung von Emden. Der Dreißigjährige Krieg verheerte O. sehr; der Graf von Mansfeld fiel 1622 in O. ein, weil Ennon ein Bündniß mit dem spanischen General Spinola gemacht hatte. 1625 that eine große Überschwemmung viel Schaden. In diesem Jahre starb auch Ennon, u. ihm folgte sein Sohn Rudolf Christian. Der Streit wegen der Emdner Besatzung mit Holland dauerte fort. 1627 rückte ein kaiserliches Heer unter Gallas in O. ein u. blieb 4 Jahre daselbst. Als 1628 ein Aufstand gegen die Fremden in Varum ausbrach u. der Graf denselben stillen wollte, wurde er von einem kaiserlichen Offizier am Auge verwundet u. starb daran. Nun folgte sein Bruder Ulrich II. 1631 zogen die kaiserlichen Truppen aus O., in Emden blieb die Besatzung, u. 1637 kamen hessen-kasselsche Truppen, welche 16 Jahre blieben, über deren Unterhaltung der Graf mit dem Lande wieder in Streit kam, bis die Generalstaaten 1642 erklärten, daß der Graf dieselben als Vertheidiger seines Landes erhalten müßte. Über der Beilegung des Streites starb Ulrich 1648; sein Sohn Ennon Ludwig stand unter der Vormundschaft seiner Mutter Juliane, geb. Landgräfin von Hessen-Darmstadt; 1651 trat er die Regierung selbst an. Er erlangte vom Kaiser Ferdinand[498] III., welcher ihn 1654 in den Reichsfürstenstand erhoben hatte, den Ausspruch, daß Emden zu den Lasten des Landes beitragen u. seine Besatzung entlassen sollte, aber die Stadt weigerte sich u. fand immer Ausflüchte. Auch Ennon Ludwig starb über diesen Streit 1660. Sein Bruder Georg Christian legte erst die Streitigkeiten durch den Vergleich im Haag vom 19 Juni 1662, zu Emden den 18. Nov. 1663 u. durch den Schluß zu Emden den 4. Octbr. 1663 bei; er gab den 18. Novbr. 1663 der Stadt u. den 29. März 1664 den Staaten die verlangten Lehnsreversalien. 1665 folgte ihm sein Sohn Christian Eberhard unter der Vormundschaft seiner Mutter Christine Charlotte, geb. Herzogin von Württemberg. 1667 wurde dem Fürstenthum O. der 54. u. 55. Platz auf den Reichstagen angewiesen, auf dem Westfälischen Kreistage erhielt es den 18. Platz. Die Regentin war in fortwährenden Streitigkeiten mit den Ständen, welche ihre Rechte erweitern wollten, u. mit dem Fürsten Edzard Ferdinand, dem Oheim Christians, welcher auf die Regentschaft Ansprüche machte. Als sie 1676 1000 Mann Münstersche Soldaten in Sold nahm, welche die Stände unterhalten sollten, entstand darüber ein Streit, der aber 1678 durch einen Vergleich beigelegt wurde. 1690 übernahm der Fürst die Regierung selbst u. machte 1691 eine Erbverbrüderung mit Braunschweig-Lüneburg, die der Kaiser aber nicht bestätigte. 1695 huldigten ihm die Stände u. Emden gegen die Reversalien. Seine Regierung war nun eine ruhige; ihm folgte 1708 sein Sohn Georg Albert. Seit 1721 entspann sich zwischen dem Fürsten u. den Ständen, bes. der Stadt Emden, wieder Streit wegen des Rechts fremde Truppen einzunehmen. Obgleich 1729 Sachsen u. Braunschweig diesen, mit gegenseitigen Thätlichkeiten begleiteten Streit beilegten, so wurde doch die Einigkeit zwischen dem Fürsten u. den Ständen nicht wieder hergestellt. Georg Albert st. 1734; ihm folgte sein Sohn Karl Edzard, mit welchem das Haus der Fürsten von O. 1744 ausstarb. Ansprüche auf die Erbschaft machten die Grafen von Wied-Runkel wegen der Vermählung Christinen Louisens, der Tochter des Grafen Friedrich Ulrich u. also Enkelin Ulrichs II. (s. oben), mit dem Grafen Johann Ludwig Adolf von Wied-Runkel 1726, u. weil O. ein Weiberlehn wäre (was widerlegt wurde); ferner Braunschweig-Lüneburg wegen der Erbverbrüderung von 1691 (s. oben), aber dieser Vertrag war ohne Zustimmung des Kaisers gemacht; dagegen hatte der Kaiser Leopold den 10. Decbr. 1694 dem Kurhause Brandenburg die Succession in O. versprochen u. der Kaiser Joseph 1706 u. Karl VI. 1715 dieselben bestätigt. Daher wurde am 1. Juni 1744 Aurich von einem preußischen Corps unter dem Grafen Franz Karl Ludwig von Neuwied im Namen des Königs Friedrich II. von Preußen besetzt, u. den 23. Juni huldigte das Land dem Könige. Nach dem Frieden zu Tilsit schlug Napoleon O. zu dem neuen Königreiche Holland, wo es mit Jever u. Kniphausen, jedoch mit Ausnahme eines Theils, welcher zu Gröningen geschlagen wurde, ein eigenes holländisches Departement bildete, u. 1810 kam es mit diesem zu Frankreich. 1813 nahm Preußen wieder Besitz davon, trat es jedoch 1815 an Hannover ab. Vgl. I. K. Freese, O. u. Harlingerland, Aurich 1796; F. Ahrends, O. u. Jever, Hannov. 1818–20, 3 Thle.; Ch. Funk, Ostfriesländische Chronik, Aurich 1785, 2 Thle.; Wiarda, Ostfriesländische Geschichte, ebd. 1791-99, 9 Bde.; Neue ostfriesländische Geschichte, Leer (Bremen) 1813; Klopp, Geschichte von O. von 1570 bis 1751, Hannover 1854 ff., 3 Bde.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 497-499.
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