Hilfskassen

[331] Hilfskassen im weitern Sinne sind solche für weniger bemittelte Stände, insbes. für Arbeiter, berechnete Anstalten, die vorwiegend auf Gegenseitigkeit beruhen, mehr oder weniger nach den Grundsätzen des Versicherungswesens eingerichtet sind und auf Grund von Beiträgen Unterstützungen bei Krankheit, Invalidität, Tod, Arbeitslosigkeit etc. gewähren. Einen derartig ausgedehnten Wirkungskreis haben die H. vieler Gewerkvereine, insbes. in England. Die meisten beschränken sich jedoch auf einzelne Zweige der Versicherung, und zwar in der Regel auf die Gewährung von Krankengeld bei Krankheit und von Begräbnisgeld zur Bestreitung der Kosten der Beerdigung. Sind auch die H. keine reinen Wohltätigkeitsanstalten, so kommt doch der Grundsatz der Selbsthilfe nicht bei allen vollständig zur Anwendung. Viele H. haben Ehrenmitglieder; so kommen bei den französischen Sociétés de secours mutuel auf je 100 Mitglieder etwa 16 Ehrenmitglieder, die gegen 10 Proz. der jährlichen Beiträge entrichten; andre erhalten Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln, oder sie werden z. T. durch freiwillige, vertragsmäßige oder gesetzlich erzwungene Zuwendungen von Arbeitgebern und im übrigen durch Beiträge der Unterstützungsberechtigten unterhalten. Aber auch bei vielen H., die lediglich auf Selbsthilfe beruhen, wird nicht streng nach den Grundsätzen des Versicherungswesens verfahren, indem oft Unterstützungen nach Bedarf gewährt werden, während die Beiträge gar nicht oder doch nicht genügend nach Alter, Gesundheitszustand etc. abgestuft sind.

Zu unterscheiden sind Kassenfreiheit und Kassenzwang. Bei ersterer ist Bildung und Verwaltung von H. der freien Übereinkunft überlassen, ein Zwang zur Versicherung wird nicht ausgeübt. Bei letzterm dagegen wird die Verpflichtung ausgesprochen, sich unter gewissen Voraussetzungen gegen bestimmte Ereignisse zu versichern, allenfalls bei einer Kasse, die nach gewissen Normativvorschriften eingerichtet und verwaltet wird. Der Zwang kann durch Gesetz, Ortsstatut, aber auch durch den Arbeitsvertrag oder durch die Zugehörigkeit zu einem Gewerkverein begründet sein. Ist dabei die Kasse, bei welcher der in einem bestimmten Bezirk wohnende oder einem bestimmten Beruf angehörige Arbeiter sich zu versichern hat, vorgeschrieben, so nennt man sie Zwangskasse. Das älteste und verbreitetste Muster derselben sind die Knappschaftskassen (s. d.). Ein Versicherungszwang besteht in Deutschland und in Österreich zurzeit für Fälle der Krankheit, für Unfälle, dann für Aller und Invalidität (vgl. Krankenkassen, Unfallversicherung und Invaliditätsversicherung); doch bedürfen auch die auf freiem Übereinkommen beruhenden Kassen der gesetzlichen Regelung durch Hilfskassengesetze, durch die der Kasse, sofern sie den gesetzlichen Bedingungen genügt und registriert (eingetragen) ist, bestimmte, für ihr eignes Gedeihen notwendige Rechte (Rechte der juristischen Persönlichkeit) verliehen, dafür aber auch entsprechende Verpflichtungen auferlegt werden.

In Deutschland bedurften früher die freien H. meist der Konzession, daneben bestand vielfach Versicherungspflicht, die gewöhnlich nach Bedarf durch Ortsstatut oder Anordnung der Verwaltungsbehörde begründet werden konnte. So konnte in den acht ältern Provinzen Preußens Gesellen, Gehilfen, in Lohn stehenden Lehrlingen und Fabrikarbeitern die Pflicht auferlegt werden, einer Kranken-, Hilfs- oder Sterbekasse beizutreten oder, wo eine solche Kasse nicht bestand, zu ihrer Errichtung sich zu vereinigen; außerdem konnten die Arbeitgeber zu Beiträgen an die Kasse herangezogen werden. Ähnliche Bestimmungen galten in Sachsen, Oldenburg, Thüringen und Hannover, doch konnte hier den Arbeitgebern die Leistung von Zuschüssen an die Kasse nicht auferlegt werden. In Hamburg war jeder Arbeiter verpflichtet, einer Krankenkasse beizutreten. In Bayern, wo den außerhalb ihrer Heimat in ständiger Arbeit stehenden Gehilfen, Lehrlingen und Fabrikarbeitern die nötige Krankenunterstützung von den Gemeinden gewährt werden muß, konnten letztere von den Arbeitern für die Dauer der Arbeit im Gemeindebezirk einen regelmäßigen Krankenbeitrag erheben. Auch in Württemberg und Baden konnten Gehilfen und Lehrlinge zu Beiträgen für die ihrer Pflege gewidmeten Krankenanstalten herangezogen werden. Ebenso bestand in den übrigen Teilen Norddeutschlands in einer oder der andern Gestalt ein Versicherungszwang; nur im ehemaligen Herzogtum Nassau, in Waldeck und Bremen blieb die Gesetzgebung der Frage ganz fremd. In dem Entwurf der Gewerbeordnung von 1869 war die Entwickelung des Hilfskassenwesens als unentbehrliche Ergänzung der örtlichen Armenpflege und als Aufgabe der Staats- und Gemeindeverwaltung aufgefaßt worden. Ihren Organen sollte die Einrichtung gewerblicher H. vorbehalten bleiben, und zwar mit der Befugnis, zum Eintritt in die von ihnen errichteten oder anerkannten Kassen die Arbeiter anzuhalten. Das Gesetz selbst beließ es jedoch bei dem bestehenden Zustand, nur hob es die Verpflichtung selbständiger Gewerbtreibenden, einer Kranken-, Hilfs- oder Sterbekasse beizutreten, auf. Ebenso wurde die ortsstatutarische Verpflichtung von Gesellen, Gehilfen, Lehrlingen und Fabrikarbeitern, einer bestimmten Kasse beizutreten, für diejenigen aufgehoben, die nachwiesen, daß sie bereits einer andern Kasse angehörten.

Eine einheitliche Regelung für das Reich wurde angebahnt durch das Gesetz über die eingeschriebenen[331] H. vom 7. April 1876. Dieses Gesetz gilt nur für Krankenkassen, wie es denn jetzt vielfach üblich geworden ist, H. und Krankenkassen, und zwar, da die Zwangshilfskassen meist besondere Bezeichnungen führen, seit 1883 insbes. freie Krankenkassen (H. im engern Sinn), als gleichbedeutend zu betrachten. Infolge des Krankenversicherungsgesetzes vom 15. Juni 1883, das den allgemeinen Krankenkassenzwang einführte, wurde das Gesetz vom 7. April 1876 durch das Gesetz vom 1. Juni 1884 einer gründlichen Revision unterworfen; nicht ohne Einfluß blieben auf dasselbe auch die Novellen zum Krankenversicherungsgesetz vom 10. April 1892 und vom 15. Mai 1903. Die Statuten der eingeschriebenen H. haben den gesetzlich vorgeschriebenen Normativbestimmungen zu entsprechen. Über die Zulassung der Kasse entscheidet die höhere Verwaltungsbehörde, gegen einen abschlägigen Bescheid derselben kann Rekurs ergriffen werden. Diese Kassen dürfen aber, so wie die Zwangskassen, nur der Kranken- und Begräbnisfürsorge dienen. Dafür genießen sie die Rechte einer juristischen Person. Die andern freien (nicht eingeschriebenen) H. unterliegen den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen über Versicherungs- und Vereinswesen, insbes. jetzt dem Gesetz über die Privatversicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901, das für die eingeschriebenen H., die im § 75, Abs. 4, des Krankenversicherungsgesetzes bezeichneten landesrechtlichen freien H., die Innungs-Unterstützungskassen und die Knappschaftskassen nicht gilt. Dieselben treten ergänzend neben die Zwangskassen, da sie auch andern Zwecken als nur der Kranken- und der Begräbnisfürsorge dienen und Personen sich bei ihnen versichern können, die dem Versicherungszwang nicht unterworfen sind, oder die sich eine höhere als die von den Zwangskassen gewährte Unterstützung sichern wollen. Mitglieder von eingeschriebenen H., deren Leistungen dem Mindestmaß der den Zwangskassen gesetzlich obliegenden Fürsorge gleichkommen, sind von der Verpflichtung, einer Zwangskasse angehören zu müssen, frei. Andre Kassen, als die eingeschriebenen H., die in § 75 des Krankenversicherungsgesetzes bezeichneten landesrechtlichen H., die Innungskrankenkassen und die Knappschaftskassen haben dies Privilegium nicht; die Mitglieder derselben gehören kraft Gesetzes der zuständigen Zwangskasse, bez. der Gemeindekrankenversicherung an. Einen Schutz gegen Überversicherung bietet die Bestimmung, daß Zwangskassen das von ihnen gewährte Krankengeld kürzen können, soweit es mit dem von der Hilfskasse gezahlten zusammen den Lohn des Mitgliedes übersteigt. Die Zwangskassen können bei der Aufnahme von Mitgliedern keine freie Wahl treffen, dagegen können die freien H. die Aufnahme von Gesundheit und Alter abhängig machen. Nun entstand für die freien H. eine mißliche Rechtsunsicherheit dadurch, daß Entscheidungen der Verwaltung darüber, ob sie dem § 75 des Kran kenversicherungsgesetzes genügten, vor Gericht angefochten werden konnten. Dieselbe wurde durch die Neuredaktion des Krankenversicherungsgesetzes vom 10. April 1892 beseitigt. Die von der Landeszentralbehörde, bez. dem Reichskanzler ausgestellten Bescheinigungen sind jetzt unbedingt maßgebend, richterliche Nachprüfungen damit ausgeschlossen. Dafür mußten freilich die freien H. einige für sie erschwerende Bedingungen in den Kauf nehmen (Gewährung von ärztlicher Behandlung und Arznei in natura statt Geldunterstützung, die jedoch bei Doppelversicherung in einer Hilfskasse u. einer Zwangskasse als Erhöhung des Krankengeldes zulässig ist). Infolge der Novelle zum Krankenversicherungsgesetz vom 15. Mai 1903 müssen die auf Grund des § 75'' des Krankenversicherungsgesetzes ausgestellten Bescheinigungen neu erteilt werden, die alten verlieren 1. Jan. 1904 ihre Geltung. 1876 gab es in Deutschland 6594 freie Kassen mit 1,839,652 Mitgliedern und 54 Mill. Mk. Vermögen, 1892 gab es 1739 eingeschriebene H. mit 796,340 Mitgliedern. Seit 1892 tritt ein Rückgang ein; 1894 bestanden 1607 eingeschriebene H. mit 785,144 Mitgliedern; von diesen entsprachen nicht dem § 75 des Krankenversicherungsgesetzes, gewährten also keine Freiheit von den Zwangskassen, 232 mit 122,447 Mitgliedern. Im J. 1894 scheint aber der tiefste Stand erreicht zu sein, seitdem hat die Zahl ständig zugenommen. Nach der letzten Statistik des Reiches betrug 1899 die Gesamtzahl der eingeschriebenen H. 1705 mit 1,010,482 Mitgliedern; von diesen entsprechen dem § 75 des Krankenversicherungsgesetzes nicht: 258 mit 205,118 Mitgliedern. Weitere Statistik s. in der Tabelle bei Art. »Krankenkassen«. Ausgaben des Gesetzes vom 7. April 1876 besorgten Schicker (2. Aufl., Stuttg. 1893) und Parey (2. Aufl., Berl. 1886). Vgl. ferner »Schriften des Vereins für Sozialpolitik«, Nr. 5 (Leipz. 1874); Oppenheim, Die Hilfs- und Versicherungskassen der arbeitenden Klassen (Berl. 1875); Hirsch, Die gegenseitigen H. und die Gesetzgebung (das. 1875) und Leitfaden für freie H. (das. 1893); Popper, Gewerbliche H. und Arbeiterversicherung (Leipz. 1880); Balck, Die eingeschriebenen (freien) H. systematisch dargestellt (Wism. 1886); Huber, Ausbau und Reform des Krankenversicherungsgesetzes (Minden 1888); Hahn, Das Hilfskassengesetz (Berl. 1896) und die Ausgaben des Krankenversicherungsgesetzes mit dem Gesetz über die eingeschriebenen H. von F. Hoffmann (4. Aufl., das. 1903), Petersen (4. Aufl., Hamb. 1903), Illing (Leipz. 1903); »Handwörterbuch der Staatswissenschaften«, 2. Supplementband, S. 508 (Jena 1897); Schönbergs »Handbuch der politischen Ökonomie«, 2. Bd., 2. Abt., S. 131 ff.; »Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik« (hrsg. von Braun, Tübing. u. Berl. 1888–1903, 18 Bde.), fortgesetzt von Sombart, Weber und Jaffé als »Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik« (Tübing. 1904) und die Zeitschrift: »Die Arbeiterversorgung« (hrsg. von Honigmann, Berlin).

In Österreich wurden die H. (freie, im Gegensatz zu den gesetzlich angeordneten, s. Krankenkassen) durch Gesetz vom 16. Juli 1892 und zwar in ähnlicher Weise wie in Deutschland neu geregelt, indem ihnen die Möglichkeit der Registrierung und damit eine gesicherte Rechtsbasis gegeben wurde. Sie unterstehen hiernach staatlicher Aussicht. Für Errichtung derselben ist behördliche Bewilligung erforderlich. Hierbei ist Erlaubtheit des Zweckes, Vertrauenswürdigkeit der Gründer sowie der Plan des Unternehmens nach privaten und öffentlichen Rücksichten zu prüfen. Bestehende Kassen dürfen nur dann umgebildet werden, wenn keine unerlaubten, dem Versicherungszweck fremden Zwecke verfolgt werden, und wenn der Plan den gesetzlichen oder versicherungstechnischen Anforderungen genügt. Wie in Deutschland, befreit die Mitgliedschaft einer registrierten freien Hilfskasse von der Zugehorigkeit zu einerZwangskasse, wenn jene wenigstens die gesetzliche Mindestleistung gewährt. Krankenunterstützung darf regelmäßig nur solchen Personen zuerkannt werden, die im Bezirk der Kasse wohnen oder beschäftigt sind. Vgl. Kaan, Das Gesetz vom 16. Juli 1892, betreffend die registrierten H. (Wien 1895); Rebec, Katechismus der registrierten H. in Österreich (Brünn 1901).[332] Der Ursprung der französischen Sociétés de secours mutuel (Gesellschaften zu gegenseitiger Hilfsleistung) läßt sich bis in das Mittelalter hinein verfolgen. Man unterscheidet anerkannte und zugelassene (unter den allgemeinen Vereinsgesetzen stehende, jederzeit auflösbare freie) Gesellschaften (sociétés autorisées und sociétés approuvées), von denen die erstern bei größerer Bevormundung auch mehr Rechte genießen als die letztern. Jene wurden geregelt durch Dekret vom 26. März 1852; hiernach dürfen Unterstützungen nur gewährt werden bei Krankheit, Unfällen, Invalidität, Begräbnis und nur unter bestimmten Voraussetzungen als Altersrenten; der Vorsitzende wird von der Regierung ernannt; Ehrenmitglieder müssen zugelassen werden; die Auflösung darf nur aus bestimmten Gründen erfolgen. Die Anfänge einer Zwangsversicherung, die das Gesetz vom 29. Juni 1894 für Bergarbeiter gebracht hat, gründen sich auf diese sociétés de secours mutuel.

In England gibt es eine große Zahl H. der verschiedensten Art, deren Entstehung teils auf ältere örtliche gesellige Vereine, teils auf zwei Arbeiterorden, die Odd Fellows und die Foresters, zurückzuführen ist. Sie sind teils registriert mit dem Rechte der juristischen Person, dann seltener als Companies, in der Regel als Friendly societies (s. d.) eingetragen, die meist nur Kranken- und Begräbnisgeld, z. T. als Burial societies (Sterbevereine) nur letzteres gewähren, teils sind sie nicht registriert. Die einen haben das Umlageverfahren, die andern das Kapitaldeckungsverfahren. Einige Prämiengesellschaften verteilen die Überschüsse von Zeit zu Zeit oder lösen sich nach solcher Verteilung auf (Sharing out clubs, Dividing societies), andre legen sie zurück (echtes Deckungsverfahren). Nach der örtlichen Ausdehnung werden unterschieden: Betriebs- (Fabrik-) Kassen, Ortskassen, Distriktskassen (nach ihrem Gründer »Becherklubs« genannt), Grafschaftskassen, Landesgewerbekassen (nur für Arbeiter eines Gewerbes), Landeskassen, Arbeiterorden (Orders, Affiliated societies). Patronisierte H. sind solche, bei denen Ehrenmitglieder einen Einfluß auf die Verwaltung ausüben. 1904 gab es in England, Schottland und Irland zusammen 28,520 eigentliche Friendly societies mit 12,807,378 Mitgliedern und einem Gesamtvermögen von 43,232,500 Pfd. Sterl. H. überhaupt (also einschließlich Trade li nions, Building societies, Darlehnskassen, Saving banks etc.) gab es 47,845 mit 27,580,585 Mitgliedern und 367,206,280 Pfd. Sterl. Vermögen.

Über die Statistik des Hilfskassenwesens vgl. insbes. die italienische »Statistica di mutuo soccorso«, die auch die italienischen Ergebnisse mit denen andrer Länder vergleicht. In Frankreich erscheint monatlich ein »Bulletin de secours mutuel«. In England wird die Statistik in den jährlichen »Reports of the Chief Registrar of Friendly Societies« veröffentlicht. Im Deutschen Reich werden umfassende Erhebungen zur Statistik der H., bez. der auf dem Reichsgesetz vom 15. Juni 1883 beruhenden Krankenversicherung der Arbeiter seit 1885 angestellt und jährlich in der »Statistik des Deutschen Reiches« veröffentlicht. Vgl. auch die Literatur bei Artikel Arbeiterversicherung.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 331-333.
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