Versicherung

[103] Versicherung (Assekuranz, franz. Assurance, engl. Insurance, ital. Assicuranza), 1) im juristischen Sinne der selbständige Vertrag, durch den der eine Teil (Assekurant, Assekuradeur, Versicherer, assureur, underwriter, assicuratore) gegen Entgelt (Prämie, prime, premium, premio) eine Vermögensleistung für den Fall des Eintritts einer ungewissen, wirtschaftlich nachteiligen Tatsache verspricht. Derjenige, der mit dem Versicherer den Vertrag abschließt und die Prämie zu zahlen hat, heißt Versicherungsnehmer, derjenige, dem aus dem Vertrag ein eignes, selbständiges Recht auf die Vermögensleistung zusteht, Versicherter (Assekurat, assuré, insured, assicurato). V. für fremde Rechnung heißt der Versicherungsvertrag, wenn der Versicherte und der Versicherungsnehmer verschiedene Personen sind. 2) Im weitern Sinne jede, auch die nicht entgeltliche und nicht durch Vertrag begründete Verpflichtung zu einer Vermögensleistung für den Fall des Eintritts einer ungewissen, wirtschaftlich nachteiligen Tatsache: ein Schützen, Sicherstellen gegen solche Tatsachen. Der Arbeiter in der Reichsmarineverwaltung z. B. ist gegen Unfall versichert, obgleich er kein Entgelt leistet, und sein Versicherungsverhältnis ist nicht durch Vertrag, sondern durch die Tatsache des Eintritts in die Beschäftigung begründet. In dieser Weise ist regelmäßig die sogen. öffentlich-rechtliche V. (insbes. Arbeiterversicherung), die einen Zweig der öffentlichen Wohlfahrtspflege darstellt, geregelt, auf dem erstgenannten Wege des entgeltlichen Vertrages dagegen die privat-rechtliche V. – Die Vermögensleistung wird immer nur für den Fall des Eintritts einer ungewissen Tatsache gewährt. Ungewiß ist entweder der Eintritt selbst (Feuer) oder nur der Zeitpunkt des Eintritts (Tod). Die nachteiligen Tatsachen (Gefahren) betätigen sich entweder 1) an einem wirtschaftlichen Gut: Sach- oder Güterversicherung, oder 2) an einer Person: Personenversicherung, oder betreffen 3) die Haftpflicht (für Hausbesitzer, Jäger, Wirte etc.): Haftpflicht-, und ihr wichtigster Fall, Rückversicherung. Hier wird gegen einen Vermögensaufwand, zu dem man durch Rechtssatz oder Rechtsgeschäft genötigt ist, versichert. Die Sachversicherung umfaßt 1) die Transportversicherung (Seeversicherung, Binnentransportversicherung für Binnengewässer und Landtransport); 2) Feuerversicherung (Mobiliar-wie Gebäudeversicherung), Hagelversicherung, Viehversicherung, Spiegelglasversicherung (gegen Glasbruch), V. gegen Wasserschäden (d. h. durch oder für Wasserleitungen entstandene Schäden); 3) V. der Wertpapiere gegen Kursverlust durch Auslosung (Promessenverucherung), V. des Arbeitgebers gegen Streikgefahr, Fahrradversicherung (gegen Diebstahl), Einbruchdiebstahlsversicherung, Valorenversicherung (bei Transportversicherung), Kautions- oder Garantieversicherung. Die wichtigsten Arten der Personenversicherung sind 1) die Lebensversicherung im weitern Sinn, umfassend a) die V. auf den Todesfall (Lebensversicherung im engern Sinn), b) die V. auf den Erlebensfall (Erleben eines gewissen Alters, mit dem die Erwerbsfähigkeit ab-, der Aufwandsbedarf zunimmt, Altersversicherung), wozu auch die Leibrentenversicherung mit sofort beginnendem Rentenbezug gehört, c) die aus a und b gemischte, sogen. abgekürzte Lebensversicherung; 2) Unfall-, Kranken- und Invaliditätsversicherung; 3) Militärdienstversicherung; 4) Diätenversicherung der Geschwornenvereine; 5) Aussteuerversicherung; 6) die Witwen- und Waisenversicherung. Ehrlichkeitsversicherung heißt V. gegen Verluste, die aus der Unehrlichkeit andrer erwachsen (z. B. Kautions-, Valoren-, Fahrrad-, Einbruchdiebstahlsversicherung). Die Güterversicherung ist nur als Schaden- (Schadenersatz)versicherung gestattet, d. h. dem Versicherten wird nur der wirklich erwachsene Schade ersetzt, Überversicherung (Vollassekuranz) also ausgeschlossen. Die Personenversicherung kann auch Schadenversicherung sein (also Kranken-, Unfallversicherung), ist aber regelmäßig Summenversicherung, d. h. die V. geht auf eine im voraus festbestimmte Summe (Kapital oder Rente).

V. im volkswirtschaftlichen Sinn ist Verteilung der Schäden auf eine große Anzahl durch identische Gefahren bedrohter Personen. In diesem Sinn ist auch die öffentlich-rechtliche V. der Regel nach V. Der Zweck der Versicherungen im allgemeinen besteht darin, daß die Gefahr eines Vermögensverlustes oder die Ungewißheit, ob es möglich sein wird, bestimmte Kapitalien oder Einnahmen für die Zukunft zur Verfügung zu haben, von dem Versicherten durch den Versicherer abgenommen werde. Der Versicherte erreicht dadurch eine Stetigkeit in dem Bestand seines Vermögens oder in der Verfügung darüber, die er ohne die V. nicht besitzen würde, und die nicht allein für die Erhaltung und Ordnung des Privatvermögens eine wesentliche Rolle im wirtschaftlichen Leben des Volkes spielt, sondern dem Versicherten auch die Sorge für die Zukunft erleichtert, die in dieser Sorge liegende Beeinträchtigung seiner Arbeits- und Spekulationskraft, seiner Lebensfreude und seiner ideellen Interessen wegräumt und damit ebenso sein Glück wie seine Leistungsfähigkeit fördert. Die V. bietet aber auch in einigen ihrer Arten, insbes. in der Lebensversicherung, Anreiz und Gelegenheit zu selbstloser und dabei wirksamster Fürsorge für andre und übt dadurch auch einen günstigen ethischen Einfluß aus. Die V. gewährt also einen materiellen und ideellen Nutzen, dem gegenüber die Möglichkeit eines etwaigen Mißbrauchs zu betrügerischen Zwecken kaum geltend zu machen ist. In wirtschaftlicher Beziehung würde indes wenig gewonnen sein, wenn die Ungewißheit der Zukunft, welcher der eine Kontrahent ausgesetzt war, lediglich auf den andern übertragen würde; der Versicherer aber übernimmt in der Regel nicht eine V., sondern eine möglichst große Anzahl von Versicherungen, und erreicht dadurch, daß er für einen Teil derselben von der Zukunft ein günstiges Ergebnis[103] erwarten darf, die Aussicht, aus diesen Versicherungen einen Gewinn zu erzielen, aus dem er die Mittel zur Erfüllung seiner Verpflichtungen auch aus den ungünstig verlaufenden Geschäften bestreiten zu können und noch einen Überschuß für sich zu erwerben hofft. Die im ständigen Wechsel der menschlichen Dinge überhaupt beobachtete, durch die Statistik festgestellte und durch die Wahrscheinlichkeitsrechnung wissenschaftlich verwendbar gemachte relative Gleichmäßigkeit in der Wiederkehr einer durchschnittlichen Zahl von Geschehnissen in bestimmten Zeitabschnitten verleiht bei aller Verschiedenheit in den Ergebnissen der Einzelgeschäfte auch dem Unternehmen des Versicherers eine gewisse Stetigkeit, die zwar für die einen Versicherungszweige, namentlich die Lebensversicherung, weit größer als für die andern, z. B. die Hagelversicherung, im allgemeinen aber um so größer ist, je mehr einzelne Versicherungen in Frage kommen, und je weniger Versicherungen von ein und demselben Ereignis in Mitleidenschaft gezogen werden können. Sorgfältige Aufnahme und Anwendung der Statistik, umsichtige Verteilung und tunlichste Vermehrung der Einzelgeschäfte innerhalb der Grenzen eines mit Klarheit zu übersehenden Geschäftsumfanges sind demnach neben wachsamer Auswahl der zu übernehmenden Versicherungen, sachkundiger Schätzung der zu versichernden Vermögensobjekte und des Schadens, dessen Ersatz verlangt wird, sowie richtiger Bemessung der für die Versicherungen zu fordernden Äquivalente und der zurückzulegenden Reserven die wesentlichsten Aufgaben des vernünftigen Versicherungsbetriebs. Die namentlich im Hinblick auf diese Umstände und auf die Verhütung einer eigenmächtigen Einwirkung der Interessenten auf die Herbeiführung der gefahrdrohenden Ereignisse oder des Ablebens der versicherten Personen aufgestellten Voraussetzungen der Zulassung zum Versicherungsvertrag und der Verpflichtungen der Kontrahenten werden die Versicherungsbedingungen genannt. Die endliche volkswirtschaftlich vorteilhafte Wirkung eines richtig durchgeführten Versicherungswesens würde die sein, daß die jeweilig wirklich eingetretenen Verluste sich zunächst persönlich auf die Schultern vieler verteilen, und da die Versicherten fortdauernd Prämien entrichten, allmählich auch zeitlich in der Art, daß jeder im Laufe der Zeit im ganzen und durchschnittlich für das aufkommt, was er erhält.

Die Chancen des Versicherers, aus dem Vertrag Zahlung leisten zu müssen, nennt man das Risiko, doch wird unter Risiko auch das Versicherungsobjekt selbst verstanden. Demgemäß spricht man auch von einer Trennung oder Teilung des Risikos, einer wesentlichen Bedingung für die sogen. Selbstversicherung (s. d.), wie auch oft für einen gedeihlichen Bestand einer V. überhaupt. Das die V. verbriefende Dokument ist die Police (s. d.) oder der Versicherungsschein. Die Auseinandersetzung des Versicherers mit dem Interessenten bei Erfüllung des Vertrags seitens des erstern pflegt man das Regulieren der V. zu nennen (s. Abmachung).

Das privatrechtliche Versicherungsgeschäft wird, abgesehen von einigen untergeordneten Zweigen und hier und da auch von der Transport- (See-) V., nicht vereinzelt und von einzelnen Personen betrieben, sondern gewerbsmäßig und zwar entweder so, daß Versicherer und Versicherungsnehmer verschiedene Personen sind (sogen. Unternehmerversicherung, insbes. Aktiengesellschaften), oder von Gegenseitigkeitsanstalten, Verbänden von Personen, die nach freiem Ermessen zusammentreten oder bestimmten Bevölkerungskreisen angehören, wie den Beamten oder einzelnen Beamtenklassen, sonstigen Berufsgenossen, Bewohnern derselben Landschaft oder Ortschaft etc. Die Aktiengesellschaft will als spekulative Gesellschaft zunächst Gewinn erzielen durch V. Dritter, dem Interesse der letztern entspricht es, wenn dieser Gewinn auch durch ausreichende Konkurrenz auf eine angemessene Höhe herabgedrückt wird. Bei der Gegenseitigkeitsgesellschaft sind die Versicherer und die Versicherten die gleichen Personen, die in ihrer Gesamtheit die jeweilig aufzubringenden Summen tragen. In neuerer Zeit tauchen in England, Frankreich und Deutschland auch gemischte Gesellschaften auf, Gegenseitigkeitsgesellschaften, die auch mit Nichtmitgliedern Verträge abschließen, insbes. fremde Risikos in Rückversicherung nehmen, vor allem aber Aktiengesellschaften, die infolge der Konkurrenz der Gegenseitigkeitsgesellschaften auch ihren Versicherten, also Nichtaktionären, einen Anteil am Gewinn (50–75 Proz.) als sogen. Prämiendividende zusichern. Dadurch ist der prinzipielle Gegensatz zwischen beiden Versicherungsarten wesentlich gemildert. Die Gesellschaften treten dann zum Teil wieder zu sogen. Rückversicherungsverbänden zusammen. Der Staat pflegt als solcher, abgesehen von den ins Versicherungsfach gehörenden Anstalten, die er als Arbeitgeber für seine Beamten und Arbeiter etwa unterhält, nicht als Unternehmer aufzutreten. Es sind indes wiederholt Versuche gemacht worden, seine Wirksamkeit auch auf dieses Gebiet auszudehnen, wie die Schöpfung der Tontinen (s. d.) in Frankreich unter Ludwig XIV. und seinen Nachfolgern oder die Gründung mehrerer Arbeiterversicherungsanstalten durch Napoleon III. u. a. Neuerdings haben sich die Sozialpolitiker Deutschlands viel mit der Erwägung beschäftigt, ob es nicht heilsam sei. das ganze Versicherungswesen oder einen Teil desselben, die sogen. Elementarversicherung, zu verstaatlichen; doch sind diese tief ins Wirtschaftsleben des Volkes eingreifenden Pläne auf sehr heftigen Widerstand gestoßen. Jedoch hat der Staat in nicht seltenen Fällen die Einrichtung selbständiger, von ihm geleiteter und zum Teil auch subventionierter Anstalten vorgenommen. So besteht in Bayern eine derartige Immobiliar-Brandversicherungs-, eine Hagel- und seit 1896 eine staatlich geleitete Viehversicherungsanstalt. Auch sonst bestehen solche Anstalten in Deutschland (s. insbes. Feuerversicherung), und ebenso haben Gemeinden und Provinzen (z. B. Feuerversicherung der sogen. Sozietäten) die Einrichtung von Versicherungen betätigt. England besitzt eine unmittelbar staatliche Lebensversicherungsanstalt, die Postversicherungskassen, die jedoch nur äußerst geringe Resultate erzielen. Weiter ist der Staat im Gebiete der öffentlichen, insbes. der Arbeiterversicherung gegangen. Hier hat der Staat in großem Umfange Zwangsversicherung, d. h. die Verpflichtung, einen Versicherungsanspruch zu erwerben, eingeführt, so für Arbeiter bei Kranken-, Unfall-, Alters- und Invaliditätsversicherung, indem er entweder dafür selbständige Anstalten errichtete oder bestehenden Aufnahmezwang auferlegte, oder, was allerdings sehr die Ausnahme, selbst die V. übernahm (Staatsversicherung). In Deutschland, Österreich-Ungarn und Norwegen hat der Staat im Gebiete der Arbeiterversicherung den ersten Weg gewählt und für die Errichtung von selbständigen öffentlich-rechtlichen Versicherungskassen mit Beitrittszwang auf dem Prinzip der Unternehmer- oder Gegenseitigkeitsversicherung [104] Sorge getragen. Die V. tritt hier kraft Gesetzes mit Eintritt in eine bestimmte Beschäftigung oder wenigstens durch einseitige Erklärung des Versicherungsnehmers ein. Nur ausnahmsweise ist die öffentlich-rechtliche V. eine freiwillige V., während dies umgekehrt bei der privatrechtlichen die Regel ist. Die Leistungen, die bei der privatrechtlichen V. der Versicherungsnehmer zu gewähren hat, nennt man bei der Rentenversicherung (s. d.) Mise, bei sämtlichen andern Versicherungen Prämien oder Beiträge. Die letztern haben indes in einzelnen Versicherungszweigen auch andre Bezeichnungen, z. B. bei den Feuersozietäten heißen sie oft Brandsteuern, bei kleinern Gegenseitigkeitsverbänden oft Umlagen, bei Sterbekassen auch wohl Totenopfer etc. Im allgemeinen ist die Prämie nach der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Zahlungsverpflichtung für den Versicherer und nach der Höhe der Zahlung zu bemessen. Sie hängt demnach ab vom Grade der Gefährdung, bei der Lebensversicherung von Alter und Gesundheit der versicherten Personen etc. Die Aktiengesellschaften erheben die Prämien unter Gewähr für deren Zulänglichkeit von den Versicherten in fest bestimmten Beträgen (feste Prämien) pränumerando, die Gegenseitigkeitsanstalten entweder je nach dem Ausgang der einzelnen Versicherungsperioden postnumerando in entsprechenden Beiträgen (Umlagen) oder in pränumerando zu machenden, vorläufigen Zahlnn gen (oft Vorprämien genannt), unter Vorbehalt der spätern Rückvergütung entsprechender Anteile an den Geschäftsüberschüssen (Dividenden) oder der Nachforderung von ratierlichen Beträgen, Nachschüssen (Nachschußprämien), bei Unzulänglichkeit der ersten Zahlungen. Wie schon bemerkt, geben jetzt auch Versicherungsunternehmer (Versicherungserwerbsgesellschaften) zum Teil Anteil am Gewinn (Dividende). Bei Versicherungsarten, bei denen sich das Risiko mathematisch feststellen läßt (Lebensversicherung), nennt man die Summen, die nur zur Deckung dieses Risikos nötig sind, die mathematischen oder Nettoprämien, zu denen dann zur Erzielung eines Gewinnes, zur Bestreitung der Verwaltungskosten etc. gewisse Zuschläge gemacht werden, um so die Brutto- oder Tarifprämien zu bilden. Man bezeichnet indes unter Nettoprämien auch wohl die von den vorläufigen Prämien der Gegenseitigkeitsanstalten nach Abzug der Dividenden übrigbleibenden Beträge und nennt dann die Vorprämie Bruttoprämie. Der Prämiensatz für die Einheit der Versicherungssumme wird Prämienfuß, die Zusammenstellung der Prämienfüße für die einzelnen Gefahr- und Altersklassen Prämientarif genannt. Bei Versicherungen, deren Risiko auf längere unbestimmte Zeit übernommen ist und bei gleichbleibenden Prämien wächst, sind Teile der Prämiensummen zur Deckung des Risikos für spätere Jahre als Prämienreserve anzusammeln, deren Höhe unter anderm von derjenigen des Zinsfußes abhängig ist (je niedriger der Zinsfuß, um so höher die Reserve, und umgekehrt). Davon zu unterscheiden ist die Kapitalreserve, die zur Deckung etwaiger Verluste, und die Schadenreserve, die für bereits zu zahlende Schäden dient, die am Ende des Rechnungsjahres noch nicht ausbezahlt werden konnten. Unter Prämienüberträgen versteht man diejenigen Teile vereinnahmter Prämien, die beim Abschluß von Geschäftsjahren der Versicherungsanstalt, wenn derselbe nicht gerade mit dem Ende des Versicherungsjahres zusammentrifft, im Verhältnis der ins nächste Geschäftsjahr fallenden Zeitdauer der Versicherungsjahre zurückzustellen sind. Die Erneuerung eines Versicherungsvertrags auf derselben Grundlage für eine neue Versicherungsperiode heißt Prolongation, doch bezeichnet man mit dem dann ungenauen Ausdruck Prolongationsprämie auch die nach Zahlung der erstmaligen (Policenprämie) entrichteten weitern Prämien für auf mehr als ein Jahr abgeschlossene Versicherungen. Bei der öffentlich-rechtlichen Arbeiterversicherung werden die Beiträge entweder nach dem Prämien- oder nach dem Repartitions- oder Umlagensystem aufgebracht, d. h. es werden entweder im voraus abgeschätzte, feste Beiträge ohne jede Nachschußpflicht erhoben (Prämien), oder die Beiträge werden erst am Ende des Versicherungsjahres nach der Höhe des wirklich eingetretenen Bedarfs umgelegt (Umlagen). Die Regel bildet das Prämiensystem. Das Umlagensystem besteht nur bei den Unfallberufsgenossenschaften des deutschen Rechts. Kollektivversicherung (Gegensatz: Einzelversicherung) liegt vor, wenn mehrere Objekte (Güter, z. B. Warenvorräte, oder Personen: alle Arbeiter einer Fabrik) zusammen den Gegenstand des Versicherungsvertrags bilden.

Sowohl bei den orientalischen Völkern als bei den Römern und Germanen führte die Gemeinschaft der Gefahr zu genossenschaftlichen Versicherungsverbänden. Soweit insbes. unsre einigermaßen zuverlässige Kunde der wirtschaftlichen Einrichtungen des deutschen Volkes zurückreicht, begegnen wir Gegenseitigkeitsversicherungsverbänden, die (zunächst im Anschluß an engere Kreise: die Gilden, Zünfte, Dorfgenossenschaften) die verschiedensten Versicherungszweige, wie Feuer-, See-, Vieh- und, in der Form der Totenkassen oder Totenladen, die Lebensversicherung, bearbeiten; ja schon in den Kapitularien Karls d. Gr. wird die eidliche Bekräftigung der Versprechungen von Gildegenossen zu Beiträgen für den Fall von Feuersbrünsten und Schiffbrüchen in einer Weise verboten, die darauf schließen läßt, daß es sich dabei um eine eingebürgerte Einrichtung handelte. Aber die Wurzeln des modernen Versicherungswesens liegen erst in dem Aufkommen des Versicherungsgewerbes in den Küstenländern des Mittelländischen Meeres, wo es im Anschluß an das Seedarlehen (foenus nauticum) am Ende des 13. Jahrh. zunächst für Transportversicherung entstand, während sich die Lebensversicherung aus dem mittelalterlichen Leibrentengeschäft entwickelte. Die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit des Versicherers führte seit dem 17. Jahrh. dazu, daß an Stelle des Einzelversicherers die Aktiengesellschaft trat. Die Gegenseitigkeitsgesellschaft trat für Feuerversicherung ins Leben, indem die deutschen Regierungen nach dem Dreißigjährigen Kriege zur Abstellung des Brandbettels und zur Hebung des Volkswohlstandes die Feuerversicherungssozietäten schufen, welche, die Form der alten Gegenseitigkeitsverbände nachahmend, von den Staats- oder Gemeindebehörden verwaltet und meistens mit mehr oder weniger Privilegien ausgerüstet wurden. Von England überkamen wir dann die Lehren der Statistik und deren Anwendung für das Versicherungswesen sowie die Versicherungstechnik großer Privatgesellschaften, die das Versicherungsgeschäft in einer neuen und großartigen Weise betrieben. Ihre Krönung findet diese auf Verteilung des Risikos gerichtete Bestrebung des Versicherungsgewerbes durch die systematische Ausbildung der Rückversicherung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bis in[105] das 19. Jahrh. herein lag der Fortschritt des Versicherungswesens nahezu ausschließlich in den Händen von Erwerbsgesellschaften.

Mit dieser großartigen Entwickelung des privaten Versicherungswesens hat diejenige des Privatversicherungsrechts bisher nicht gleichen Schritt gehalten, und nur wenige Staaten erfreuen sich einer umfassenden Kodifikation der öffentlich- und der privatrechtlichen Normen für das private Versicherungswesen. Im allgemeinen hat nur die staatliche Überwachung und Konzessionierung der Privatversicherungsgesellschaften in staatlichen Verordnungen allgemeine Regelung erfahren, dagegen nicht der privatrechtliche Versicherungsvertrag als solcher. Am frühesten wurde er für die Seeassekuranz geordnet, betreffs der die Ordonnanz der Stadt Barcelona, das Florentiner Statut von 1523, die niederländische Ordonnanz Philipps II. von 1570, die Amsterdamer Ordonnanz von 1598, die französische Marineordonnanz von 1681 u. a. maßgebend geworden sind, und die auch sowohl im preußischen Landrecht als auch im deutschen Handelsgesetzbuch eingehendere Berücksichtigung erfahren hat. Erst die neuern Handelsgesetzbücher regeln den privatrechtlichen Versicherungsvertrag schlechthin, so die Niederlande (1838), Argentinien (1862), Belgien (1874), Ungarn (1876), Italien (1883), Spanien (1885), Rumänien (1887), Portugal (1888); auch das neue schweizerische Obligationenrecht erstreckt sich auf das Versicherungswesen. Die Vereinigten Staaten Nordamerikas besitzen eine Reihe von Gesetzen der Einzelstaaten (namentlich Ohio, New York, Massachusetts). Hier wurden sogar einheitliche Policentypen festgestellt und Rabattierungsverbote gegen das Agentenunwesen erlassen. Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (§ 749) hat den Leibrentenvertrag geregelt, und durch Gesetz vom 12. Mai 1901 ist ein Reichsversicherungsgesetz ergangen, das am 1. Nov. 1902 ins Leben getreten ist. Dieses Gesetz regelt insbes. die Zulassung zum Geschäftsbetrieb, die Rechtsverhältnisse der Gegenseitigkeitsvereine und die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmungen. Die Aussicht unterliegt dem kaiserlichen Aufsichtsamt für Privatversicherung (s. Versicherungsamt und Privatversicherung), dem ein Versicherungsbeirat zur Seite steht. Auch die gesetzliche Regelung des Rechtsverhältnisses zwischen Gesellschaft und Versicherungsnehmer ist im Werk und ein darauf abzielender Gesetzentwurf nebst Entwurf eines Einführungsgesetzes und einem solchen über Abänderung der einschlägigen Bestimmungen des Handelsgesetzbuches im Mai 1903 veröffentlicht worden. In Österreich wurde 5. März 1896 ein neues Assekuranzregulativ erlassen (wesentlich versicherungspolizeilichen Inhalts) Weiteres s. in den einzelnen Artikeln: Feuer-, Glas-, Hagel-, Hypotheken-, Invaliditäts-, Kredit-, Lebens-, Rück-, See-, Transport-, Unfall-, Viehversicherung etc.

Ziffermäßig erhellt die volkswirtschaftliche Bedeutung des Privatversicherungswesens aus den bei den einzelnen Versicherungszweigen gemachten Angaben.

Vgl. Lewis, Lehrbuch des Versicherungsrechts (Stuttg. 1889); Ehrenberg, Versicherungsrecht (Bd. 1, Leipz. 1893); H. und K. Brämer, Das Versicherungswesen (das. 1894); Wagner, Versicherungswesen (in Schönbergs »Handbuch der politischen Ökonomie«, 4. Aufl., Tübing. 1896); Art. »Versicherungswesen« im »Handwörterbuch der Staatswissenschaften«, Bd. 7 (2. Aufl., Jena 1901); Cosack, Lehrbuch des Handelsrechts (6. Aufl., Stuttg. 1903); Manes, Versicherungswesen (Leipz. 1905), Grundzüge des Versicherungswesens (das. 1906) und Einführung in die Versicherungspraxis (Tübing. 1908, 2 Bde.) sowie Literatur bei Artikel »Arbeiterversicherung«; die Kommentare zum Reichsgesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901 von Neumann (Berl. 1901), Alexander-Katz (das. 1901), Müller und Prager (Fürth 1901), Rehm (Münch. 1901), Manes (Leipz. 1901), Deybeck (das. 1902); v. Knebel-Döberitz und Bröcker, Das private Versicherungswesen in Preußen (Berl. 1902–03, 3 Bde.); Moldenhauer, Die Aussicht über die privaten Versicherungsunternehmungen (Leipz. 1903); Großmann, Versicherungsmathematik (das. 1902); Onciul, Der Versicherungsvertrag nach österreichischem Recht (Wien 1896); Derblich, Das österreichische Versicherungsrecht (Berl. 1903); Agnel, Manuel général des assurances (4. Aufl., Par. 1900); Divante, Il contratto di assicurazione (Mail. 1885–90, 3 Bde.); Wallmanns »Versicherungs-Zeitschrift« (Berl., seit 1865); Saskis »Zeitschrift für das Versicherungswesen« (Leipz., seit 1865); Neumanns »Zeitschrift für Versicherungswesen« und dessen »Jahrbuch für das deutsche Versicherungswesen« (Berl., seit 1879); »Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft« (hrsg. vom Deutschen Verein für Versicherungswissenschaft, das., seit 1900) und die Veröffentlichungen dieses Vereins; »Annalen des gesamten Versicherungswesens« (Leipz., seit 1869); »Veröffentlichungen des kaiserlichen Aufsichtsamtes für Privatversicherung« (Berl., seit 1902); »Berichte des eidgenössischen Versicherungsamtes« (Bern 1886 ff.); »National-Ökonom« (hrsg. von B. Israel, Wien); »Assekuranzjahrbuch« (begründet von Ehrenzweig, jetzt hrsg. von der Redaktion der Österreichischen Versicherungs-Zeitung, Wien).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 103-106.
Lizenz:
Faksimiles:
103 | 104 | 105 | 106
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Rameaus Neffe

Rameaus Neffe

In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon