Stahl [2]

[835] Stahl, 1) Georg Ernst, Chemiker und Mediziner, geb. 21. Okt. 1660 in Ansbach, gest. 14. Mai 1734 in Berlin, studierte in Jena und wurde 1687 Hofarzt des Herzogs von Weimar, 1694 Professor der Medizin in Halle, 1716 Leibarzt des Königs von Preußen. S. machte den ersten Versuch, die bekannten chemischen Tatsachen von einem einheitlichen theoretischen Gesichtspunkt aus zusammenzufassen, und seine Theorie, die auf der Annahme des Phlogistons beruhte, behielt bis auf Lavoisier allgemeine Geltung und gab zu systematischen Forschungen vielfache Anregung. Auch entdeckte er viele Eigenschaften der Alkalien, Metalloxyde und Säuren. Er schrieb: »Zymotechnia fundamentalis seu fermentationis theoria generalis« (Halle 1697, darin die Phlogistontheorie); »Observationes chymico-physico-medicae« (Leipz. 1698); »Specimen Becherianum« (Halle 1702); »Opuscula chymico-physico-medica« (das. 1715); »Experimenta, observationes animadversiones chymicae et physicae« (2. Aufl., Berl. 1731); »Theoria medica vera« (Halle 1707; Leipz. 1831–33, 3 Bde.; deutsch von Ideler, Berl. 1831–32, 3 Bde.), in der er Hoffmann bekämpfte und die Lehre vom psychischen Einfluß (Animismus, s. d.) aufstellte. Unter seinem Namen, aber nicht von ihm selbst, wurden veröffentlicht: »Chymia rationalis et experimentalis« (1720); »Fundamenta chymico pharmaceutica« (1721); »Fundamenta chymiae dogmaticae et rationalis« (1723); »Fundamenta chymiae dogmaticae et rationalis et experimentalis« (1732).

2) Friedrich Julius, hervorragender Schriftsteller im Fache des Staatsrechts und Kammerredner, geb. 16. Jan. 1802 in München von jüdischen Eltern, gest. 10. Aug. 1861 in Brückenau, trat 1819 in Erlangen zur protestantischen Kirche über und habilitierte sich im Herbst 1827 als Jurist in München. In demselben Jahr erschien seine erste größere Schrift: »Über das ältere römische Klagenrecht« (Münch. 1827). Von Schelling angeregt, schrieb er: »Die Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht« (Heidelb. 1830–1837, 2 Bde. in 3 Abtlgn.; 5. Aufl. 1878), sein wissenschaftliches Hauptwerk, das trotz großer Mängel epochemachend für die Geschichte der Staatswissenschaft ist. S. trat darin der naturrechtlichen Lehre schroff entgegen und begründete seine Rechts- und Staatslehre »auf der Grundlage christlicher Weltanschauung«. 1832 ward S. zum außerordentlichen Professor in Erlangen, im November zum ordentlichen Professor für Rechtsphilosophie, Pandekten und bayrisches Landrecht in Würzburg ernannt. Später kehrte er nach Erlangen zurück und lehrte hier Kirchenrecht, Staatsrecht und Rechtsphilosophie. 1840 als Professor der Rechtsphilosophie, des Staatsrechts und Kirchenrechts nach Berlin berufen, 1849 von König Friedrich Wilhelm IV., der ihm seine Gunst zuwandte, zum lebenslänglichen Mitgliede der damaligen Ersten Kammer, des spätern Herrenhauses, ernannt, wurde S. hier und 1850 im Erfurter Parlament, dem er angehörte, der Hauptwortführer der Reaktion. Auch auf kirchlichem Gebiete benutzte er seine Stellung als Mitglied des evangelischen Oberkirchenrats (1852–58) zur Lockerung der Union, zur Stärkung des lutherischen Konfessionalismus und zur Erneuerung der Herrschaft der orthodoxen Geistlichkeit über die Laienwelt. Der politische Umschwung infolge der Erhebung des Prinz-Regenten und der Sturz des Ministeriums Manteuffel brachen auch Stahls Herrschaft im Oberkirchenrat und veranlaßten 1858 seinen Austritt aus dieser Behörde. Von seinen Schriften sind noch hervorzuheben: »Die Kirchenverfassung nach Lehre und Recht der Protestanten« (Erlang. 1840, 2. Aufl. 1862); »Über Kirchenzucht« (Berl. 1845, 2. Aufl. 1858); »Das monarchische Prinzip« (Heidelb. 1845); »Der christliche Staat« (Berl. 1847, 2. Aufl. 1858); »Die Revolution und die konstitutionelle Monarchie« (das. 1848, 2. Aufl. 1849); »Was ist Revolution?« (1.–3. Aufl., das. 1852); »Der Protestantismus als politisches Prinzip« (das. 1853, 3. Aufl. 1854); »Die katholischen [835] Widerlegungen« (Berl. 1854); »Wider Bunsen« (gegen dessen »Zeichen der Zeit«, 1.–3. Aufl., das. 1856); »Die lutherische Kirche und die Union« (das. 1859, 2. Aufl. 1860). Nach seinem Tod erschienen: »Siebenzehn parlamentarische Reden« (Berl. 1862) und »Die gegenwärtigen Parteien in Staat und Kirche« (2. Aufl., das. 1868). Vgl. die anonyme Schrift »Pernice, Savigny, S.« (Berl. 1862).

3) Ernst, Botaniker, geb. 21. Juni 1848 zu Schiltigheim bei Straßburg i. E., studierte in Straßburg, Halle und Würzburg, habilitierte sich 1877 in Würzburg, wurde 1880 außerordentlicher Professor in Straßburg, 1881 ordentlicher Professor und Direktor des Botanischen Gartens in Jena. Im Winter 1889 bis 1890 machte er eine Reise nach Ceylon und Java. Er schrieb: »Entwickelung und Anatomie der Lentizellen« (Leipz. 1873); »Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Flechten« (das. 1877, 2 Hefte); »Über den Einfluß von Richtung und Stärke der Beleuchtung auf einige Bewegungserscheinungen im Pflanzenreich« (das. 1880); »Über sogenannte Kompaßpflanzen« (Jena 1883); »Über den Einfluß des sonnigen oder schattigen Standortes auf die Ausbildung der Laubblätter« (das. 1883); »Einfluß des Lichtes auf den Geotropismus einiger Pflanzenorgane« (Berl. 1884); »Zur Biologie der Myxomyzeten« (Leipz. 1884); »Pflanzen und Schnecken« (Jena 1888); »Regenfall und Blattgestalt« (Leid. 1893); »Über bunte Laubblätter« (Buitenzorg 1896); »Über den Pflanzenschlaf und verwandte Erscheinungen« (Leipz. 1897); »Matthias Jakob Schleiden« (Jena 1904).

4) Ludwig, Schauspieler, geb. 4. April 1856 in Brünn, widmete sich zunächst dem Militärstand und machte als Leutnant den Feldzug in Bosnien und der Herzegowina mit. Auf Sonnenthals Rat ging er zur Bühne und kam nach vorübergehender Tätigkeit in Augsburg, Bozen und Meran 1880 an das Stadttheater in Wien, wo er vier Jahre unter Mitterwurzer und Tyrolts Einfluß ernst an sich arbeitete. Nach dem Brande des Stadttheaters siedelte S. an das Wiener Carl-Theater über, später war er unter anderm am Leipziger Stadttheater und am St. Petersburger Hoftheater tätig. Entscheidend für Stahls Ruf wurde seine Wirksamkeit am Berliner Theater, wo er sechs Jahre lang als jugendlicher Bonvivant wirkte. Nach einjährigem Engagement am Thaliatheater in Hamburg an das Berliner Lessingtheater berufen (1895–1897) und dann abermals am Berliner Theater tätig (1898–99), ging er 1899 aus Dresdener Königliche Schauspielhaus, wo er noch jetzt als scharfsinniger, geistreicher Darsteller im Fache der Bonvivants und Charakterliebhaber wirkt (Bolz, Bolingbroke, Clarence in »Richard III.«).

5) Karl, Pseudonym, s. Goedeke.

6) Pierre Jules, Pseudonym, s. Hetzel.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 835-836.
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835 | 836
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