Union

[527] Union ist ein vom Lateinischen hergenommener Ausdruck, welcher Vereinigung bedeutet, daher uniren so viel wie vereinigen, und unirt vereinigt heißt. In politischer Beziehung wird darunter bald ein blos auf Zeit geschlossenener Bund von Staaten oder Fürsten für einen gemeinschaftlichen Zweck, bald die Vereinigung von mehren Staaten zu einem Staatenbunde, wie z.B. der deutsche Bund und die Vereinigten Staaten von Nordamerika, oder zu einem untrennbaren Reiche verstanden, wie es Dänemark, Norwegen und Schweden zufolge der 1397 gestifteten kalmarischen Union unter einem Könige mit gewissen nähern Bestimmungen (s. Margaretha, Königin von Dänemark und Norwegen) sein sollten, und England, Schottland (Großbritannien) und Irland noch sind. In kirchlicher Beziehung wird unter Union die vielfach versuchte Vereinigung der verschiedenen, besonders christlichen Glaubensparteien verstanden, und man spricht in dieser Hinsicht von einer besondern Vereinigungskunst, nach dem Griechischen auch Henotik, sowie Irenik genannt, weil sie den kirchlichen Frieden herzustellen sucht. Dergleichen Bestrebungen sind nicht zu verwerfen, so lange sie nur auf gütlichem Wege und durch nicht zudringliche Belehrung verfolgt werden, allein gänzlich unstatthaft, wenn dabei gewaltthätige, überhaupt Zwangsmittel und Hinterlist zur Anwendung kommen, durch welche ohnedies nimmer eine wahrhafte, freie Vereinigung der Gemüther bewirkt werden kann. An Versuchen, die getrennten christlichen Kirchenparteien wieder zu vereinigen, hat es zu keiner Zeit und auch darum nicht gemangelt, weil diese Vereinigung dadurch, daß Jesus der christlichen Kirche die Herrschaft über die Welt verheißt, als Aufgabe derselben sich darstellt. Die Päpste betrachteten sich zu allen Zeiten besonders zur Lösung derselben veranlaßt, allein da sie stets offen oder verdeckt nur auf unbedingte Unterwerfung unter die röm. Satzungen und Gleichförmigkeit aller Dogmen und Formen dabei ausgingen, und keineswegs die davon unabhängige höhere Einheit im Geist und in der Liebe ins Auge faßten, so blieben diese Versuche ohne große Folgen. Aus früherer Zeit gehören dahin die zwischen der röm.-katholischen und griech. Kirche gepflogenen Unterhandlungen, die zwar einen Theil der Bekenner der letztern als sogenannte unirte Griechen (s. Griechische Kirche) der röm. Kirche zuführten, von denen aber im J. 1839 die im russ. Reiche lebenden neuerdings sich wieder zur griech. Kirche gewendet haben. Nach der Reformation wurden wiederholte Versuche einer Union der röm.-katholischen und der evangelischen Kirche gemacht, allein da die päpstliche Curie ihre Ansprüche immer nur scheinbar aufgeben wollte, so scheiterte daran Alles. So waren auf dem Reichstage zu Regensburg, 1541, beide Theile in mehren Punkten einem Vergleiche, welchen Karl V. aufrichtig gewollt zu haben scheint, näher gekommen als je, aber der Papst widersprach den Ansichten des Kaisers; Dasselbe geschah, als Kaiser Ferdinand I., und später Maximilian II., unter Mitwirkung gelehrter Theologen, beide Theile über die mögliche Vereinigung aufzuklären versuchten. Diese Mitwirkung war es grade, welche Rom misfiel, von wo aus, jedoch anscheinend ohne päpstliche Veranlassung, 1644 vielmehr der Versuch gemacht wurde, eine Vereinigung evangelischer Fürsten und Städte, ohne Zuziehung evangelischer Theologen, zu bewirken, der aber so wenig Erfolg hatte, wie die 1660 vom Kurfürsten Johann Philipp (von Schönborn) mehren deutschen Höfen mitgetheilten Unionsvorschläge. Von 1675 an bis zu seinem Tode (1695) war hierauf Christoph Rojas de Spinola, seit 1668 Titularbischof von Tina und seit 1683 Bischof von Wienerisch-Neustadt, durch Schriften und auf Reisen, welche er bis Ungarn und Siebenbürgen ausdehnte, als Friedensvermittler zwischen der katholischen und evangelischen Kirche bemüht. Allein er hatte zu seinen lockenden Vorschlägen, obgleich er dieselben im Namen des Papstes machte, von demselben keine Vollmacht und die röm. Curie würde denselben auch nimmer die Bestätigung ertheilt haben. Auch der als Kanzelredner berühmte Bischof vom Meaux und früherer Erzieher des Dauphins, I. B. Bossuet, gest. 1704, verhandelte wegen einer Ausgleichung zwischen der katholischen und evangelischen Kirche mit dem evangelischen Abte Molanus von Loccum und Leibnitz (s.d.) hing derselben Idee längere Zeit nach. In den Jahren 1717–19 versuchten der Bischof von Canterbury und ein Theolog der Sorbonne von Paris eine Verständigung zwischen der franz. und anglicanischen Kirche; nach Deutschland gelangten 1772 Vereinigungsanträge vom Erzbischofe zu Turin, Della Lanza; in Frankreich foderte 1804 Lecoz, Erzbischof von Besançon, die protestantischen Geistlichen zur Rückkehr in die katholische Kirche auf, und 1806 betrieb und übergab der franz. Rechtsgelehrte Beaufort einen desfallsigen, auf rechtlichen Grundlagen entworfenen Unionsplan dem Kaiser Napoleon, der aber beide Theile gegen sich hatte. Überhaupt wird auch keine Union der [527] röm. und der evangelischen Kirche zu Stande kommen, so lange die erstere bei den Ansprüchen der Hierarchie beharrt und die Perfectibilität (s. Perfection) des Christenthums nicht anerkennt.

Unter ganz andern Verhältnissen wurde schon kurze Zeit nach der Reformation auf die Vereinigung der zwei protestantischen Hauptparteien getrachtet, deren Versöhnung den Reformatoren selbst am Herzen lag. Bei dem ersten Versuche der Art auf dem Religionsgespräche zu Marburg (s. Reformirte Kirche) trat jedoch selbst Luther's Flammeneifer dem Gelingen mit entgegen, und die spätern Streitigkeiten zwischen beiden Parteien wurden mit solcher Einseitigkeit geführt, daß sie nur gegenseitigen Haß und in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. selbst Verfolgungen hervorbrachten, obgleich die Meinungsverschiedenheit hauptsächlich blos in der verschiedenen Erklärung der Einsetzungsworte des h. Abendmahls (s.d.) und in der Lehre von der Gnadenwahl bestand. Auch im 17. Jahrh. scheiterten die mehrfach unternommenen Versuche zur Versöhnung, namentlich bemühte sich (seit 1631) John Dury (Johannes Duräus), ein Prediger der schot. Gemeinde zu Elbing, die Union der engl., holländ., schweiz. und deutschen Reformirten mit den Lutheranern zu bewirken, und bereiste deshalb durch fast 50 Jahre die meisten protestantischen Länder in Europa. In Preußen berief hierauf König Friedrich I. 1703 mehre Theologen beider Glaubensbekenntnisse aus seinen Staaten zur Berathung einer Union nach Berlin, eröffnete in Berlin und Charlottenburg Unionskirchen, verordnete die gemeinschaftliche Erziehung verwaister Kinder von Ältern beider Bekenntnisse in einer und derselben Anstalt, und erließ 1706 Entwürfe wegen Einführung der engl. Liturgie, ohne daß der beabsichtigte Zweck da durch erreicht worden wäre. Noch weiter ging Friedrich Wilhelm I., der 1736 die Abschaffung mehrer Kirchengebräuche der Lutheraner (der Lichter beim Abendmahle, der Meßgewänder, Chorhemden, das Collectensingen) befahl; allein unter Friedrich II. hörte der Zwang in diesen Dingen wieder auf und die meisten Gemeinden kehrten zu den alten Gebräuchen zurück. Erst im laufenden Jahrh. waren in Deutschland die Ansichten über die Unterscheidungslehren der Lutheraner und Reformirten sowol bei der überwiegenden Mehrzahl der Theologen als bei den Gebildeten beider Bekenntnisse zu derjenigen Läuterung gelangt, daß nicht blos der frühere Sektenhaß erloschen, sondern auch eine Übereinstimmung darin eingetreten war, welche der äußern Vereinigung kein wesentliches Hinderniß mehr entgegenzustellen schien. Schon während der Napoleonischen Herrschaft waren an einzelnen Orten Unionen der Lutheraner und Reformirten erfolgt, umfänglicher aber traten sie im Jubeljahre der lutherischen Reformation 1817 und zwar mit in Folge des vom König Friedrich Wilhelm III. deshalb erlassenen Aufrufes zu freier Vereinigung ein, ohne daß erst für die Unterscheidungslehren eine beide Theile befriedigende Fassung hätte gesucht werden müssen. Vielmehr waltete dabei die Überzeugung vor, daß eine verschiedene Ansicht von denselben die kirchliche Gemeinschaft und christliche Liebe keineswegs beeinträchtige, und so ist denn die Union der reformirten und lutherischen Kirchen zu einer evangelisch-christlichen fast überall im preuß. Staate, sowie 1817 im Herzogthum Nassau, in Frankfurt am Main, in den Niederlanden, im Fürstenthum Hanau, in Rheinbaiern, Anhalt-Bernburg, Großherzogthum Baden, Anhalt, Dessau, in Waldeck und Pyrmont, in einem Theile des Großherzogthums Hessen, in Darmstadt und andern Orten vollzogen worden. Nur hin und wieder, wie in Bremen 1823, und besonders in einigen Orten von Schlesien seit 1830, wurde die Union von einer kleinen Zahl am Buchstaben des Lutherthums starr und festhaltender Lutheraner heftig angegriffen und aufs entschiedenste abgewiesen, ja gab sogar Veranlassung zu Ruhestörungen. Eine »Geschichte der kirchlichen Unionsversuche seit der Reformation« hat K. W. Hering (Lpz. 1836) geliefert.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 527-528.
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