Mendelssohn-Bartholdy

[593] Mendelssohn-Bartholdy, 1) Felix, Komponist, geb. 3. Febr. 1809 in Hamburg, gest. 4. Nov. 1847 in Leipzig, Sohn des Bankiers Abraham Mendelssohn und Enkel des Philosophen Moses Mendelssohn, wurde in Berlin, wohin die Familie einige Jahre nach seiner Geburt übersiedelte, neben gründlichem Unterricht in den allgemeinen Bildungsfächern von Louis Berger im Klavierspiel und von Zeller in der Komposition unterwiesen und machte so schnelle Fortschritte, daß er mit 15 Jahren bereits vier Singspiele geschrieben und im Vaterhause zur Ausführung gebracht hatte und mit 17 Jahren die noch heute allgemein bewunderte Sommernachtstraum-Ouvertüre schrieb. Ein Besuch Cherubinis in Paris 1825 beseitigte durch dessen günstiges Urteil die letzten Bedenken des Vaters gegen die Wahl der Musik als Lebensberuf. Neben ausgedehnten Arbeiten auf allen Gebieten der Komposition studierte aber Felix eifrig Sprachen, so daß er eine deutsche Bearbeitung der »Andria« des Terenz veröffentlichen konnte, welche die Anerkennung der Gelehrten fand. Von 1827 ab besuchte er fleißig die Vorlesungen der Berliner Universität. In demselben Jahr gelangte eine Oper seiner Komposition, »Die Hochzeit des Camacho«, im königlichen Schauspielhause zur Ausführung. Dieselbe sollte die einzige bleiben; trotz vielfachen Suchens hat sich M. nicht entschließen können, einen zweiten Bühnenversuch zu machen (ein Singspiel: »Die Heimkehr aus der Fremde«, schrieb er 1829, zur silbernen Hochzeit seiner Eltern). Doch beweist sein Fragment einer Oper »Loreley« (Text von Geibel), das seiner letzten Lebenszeit angehört, daß ihn Opernprojekte bis zuletzt beschäftigt haben. Um so größeres Interesse verwandte er aber auf die Instrumentalkomposition. Als er 1829 mit seiner englischen Reise seine Wanderjahre antrat, hatte er bereits eine stattliche Reihe Kammermusikwerke, Symphonien,[593] Klaviersachen etc. geschrieben, darunter auch schon die Ouvertüre »Meeresstille und glückliche Fahrt«, und auch schon die berühmte erste Wiederaufführung von Bachs »Matthäuspassion« durch die Singakademie unter seiner Direktion durchgesetzt. Als er im Frühjahr 1829 in London auftrat, war der kaum Zwanzigjährige bereits ein fertiger Meister und feierte als Klavierspieler und Komponist in den Konzerten der Philharmonischen Gesellschaft Triumphe. Eine Frucht der englischen Reise, die ihn auch nach Schottland führte, ist die »Hebriden-Ouvertüre«, die er bei seiner Rückkehr aus Italien, wohin er sich nach kurzem Aufenthalt in Berlin wandte, 1832 in London zur ersten Ausführung brachte. Im Mai 1830 trat er die Reise nach Italien über Weimar und München an. So stark ihn die italienischen musikalischen Zustände enttäuschten, so sammelte er doch in dem schönen Land eine Fülle von Eindrücken und benutzte die Gelegenheit, die Schätze älterer Musik und italienischer Bibliotheken zu studieren, wobei ihm besonders Baini und Santini in Rom hilfreiche Hand leisteten. Nachdem M. noch Neapel besucht hatte, trat er die Rückreise an, die ihn über München führte (wo er den Auftrag erhielt, eine Oper zu schreiben, der aber mangels eines guten Textes nicht perfekt wurde). Zunächst besuchte er noch Paris und London, ehe er (im Mai 1832) nach Berlin zurückging. Dort war soeben Zelter gestorben; M. bewarb sich um die da durch erledigte Dirigentenstelle der Singakademie, doch wurde ihm Rungenhagen vorgezogen. Verstimmt unternahm M. im Frühjahr 1833 seine dritte Reise nach London und führte hier seine A dur-Symphonie auf (die italienische), kehrte auch wieder nach London zurück (das er noch öfters aufsuchte), nachdem er zu Pfingsten 1833 das Niederrheinische Musikfest in Düsseldorf dirigiert und die ihm angetragene Stellung eines städtischen Musikdirektors angenommen hatte, die er im Herbst antrat. Die ihm damit aufgebürdete Arbeitslast (er hatte nicht nur auch die Winterkonzerte und die Kirchenmusik zu dirigieren, sondern mußte zugleich die musikalische Leitung des unter Immermann 1834 eröffneten Stadttheaters übernehmen) wurde ihm bald zu groß, so daß er die Direktion der Oper seinem Freund J. Rietz übertrug. In Düsseldorf schrieb er den größten Teil seines Oratoriums »Paulus«, dessen Erstaufführung auf dem Musikfeste zu Düsseldorf 1836 stattfand. Inzwischen hatte aber M. die Düsseldorfer Stellung mit der des Dirigenten der Gewandhauskonzerte in Leipzig vertauscht (im Sommer 1835). Mit Mendelssohns Erscheinen nahm das Musikleben Leipzigs einen außerordentlichen Aufschwung, und die Gewandhauskonzerte hoben sich zum tonangebenden Konzertinstitut in Deutschland. Von hoher Bedeutung wurde auch die Begründung des Konservatoriums. Der Plan Friedrich Wilhelms IV., in Berlin ein Konservatorium in großem Stil unter M. zu begründen, veranlaßte mehrmals M., seinen Wohnsitz nach Berlin zu verlegen (1841, 1843, 1845). Doch kehrte er immer nach kurzer Zeit wieder nach Leipzig zurück, und auch der Dresdener Hof vermochte nicht, ihn Leipzig abspenstig zu machen. Schon 1836 wurde M. zum Ehrendoktor der Leipziger Universität ernannt; 1841 erhielt er vom König von Sachsen den Kapellmeistertitel, 1843 vom König von Preußen den eines Generalmusikdirektors. 1837 hatte sich M. mit Cäcilie Jeanrenaud, der Tochter eines Predigers in Frankfurt a. M., verheiratet, mit der er ein glückliches Familienleben führte. Der Tod seines Vaters (1835), seiner Mutter (1842) hatte bereits eine starke Erschütterung seines seelischen Gleichgewichts bewirkt. Noch schwerer traf ihn der Tod seiner Lieblingsschwester Fanny (s. Hensel 2), und nur wenige Monate später folgte er ihr ins Grab. Wie den Vater und die Schwester raffte auch ihn ein Nervenschlag dahin. Seine Leiche wurde nach Berlin übergeführt. Sein Bildnis s. Tafel »Deutsche Tondichter II« (beim Art. »Musik«).

Mit seinen beiden Oratorien »Paulus« und »Elias« steht M. als der bedeutendste Meister dieser Formen in der Zeit des Aufschwunges der Chorkomposition in Nachahmung Haydns und Händels da, letzterm näherstehend als Haydn. Wenn auch die vorwiegend lyrische und melodienfreudige Natur Mendelssohns in diesen Werken bemerkbar wird, so erhebt sich dieselbe doch hoch über diejenige der Zeitgenossen. Mit der »ersten Walpurgisnacht« schuf er eine neue Form, die der Chorballade, die zunächst Schumann weiter ausbaute. Diesen Chorwerken reihen sich zunächst an: die auf Wunsch Friedrich Wilhelms IV. geschriebenen Chöre zu Sophokles' »Antigone« und »Ödipus« und Racines »Athalia«, mehrere Kantaten (»An die Künstler« und »Gutenberg-Kantate«, beide für Männerchor), die Symphonie mit Chor »Lobgesang« (als Symphonie Nr. II), dazu 5 Psalmen für Soli, Chor und Orchester, 3 Psalmen zu 8 Stimmen a cappella, mehrere Hefte Motetten und andre geistliche Gesänge (auch Fragmente eines dritten Oratoriums, »Christus«). Zu ganz besonderer Beliebtheit gelangten auch die Chorlieder, zweistimmigen Lieder (Duette) und viele der einstimmigen Lieder Mendelssohns, in denen er sehr zu einer volksmäßigen Faktur hinneigt, doch oft mit einem starken Zusatz von Sentimentalität. Aber dem Vokalkomponisten ist zum mindesten ebenbürtig der Instrumentalkomponist, der in weit höherm Grad als der Vokalkomponist als Fortbildner der Romantik Webers und Schuberts gelten muß. Zwar zügelt seine Phantasie überall der angeborne und durch Erziehung verstärkte Formensinn, der für sein gesamtes Schaffen charakteristisch ist und ihn gegenüber dem mit Ideen verschwenderischen Schumann manchmal formalistisch erscheinen läßt; doch liegt über vielen seiner Instrumentalwerke ein Hauch echter Naturpoesie und lebt in ihnen ein echter Märchengeist. Obenan stehen da seine Ouvertüren »Fingalshöhle« (»Hebriden«), »Meeresstille und glückliche Fahrt« und »Das Märchen von der schönen Melusine«, die ganze »Sommernachtstraum-Musik« (während in der Ruy-Blas- u. Trompeten-Ouvertüre mehr ein theatralischer Geist herrscht), auch die III. (schottische) und IV. (italienische) Symphonie sowie viele seiner zahlreichen Klavierkompositionen, besonders die Lieder ohne Worte, die eine beispiellose Popularität erlangten. Glänzend und doch mit innigen und graziösen Momenten durchsetzt sind seine beiden Klavierkonzerte in G moll und D moll, das H moll-Capriccio mit Orchester, auch sein Violinkonzert und seine Kammermusikwerke mit Klavier (3 Trios, 3 Quartette, 1 Sextett, 2 Sonaten und 1 Variationenwerk mit Cello, eine Violinsonate), während die nur für Streichinstrumente geschriebenen in der Wirkung hinter denen der Klassiker zurückbleiben. Eine Gesamtausgabe seiner Werke, von Rietz redigiert, erschien 1871–77 im Verlag von Breitkopf u. Härtel in Leipzig. Einen wertvollen Beitrag zur Kunde seines künstlerischen Strebens wie der Liebenswürdigkeit und Reinheit seines Charakters liefern die von seinem Bruder Paul M. herausgegebenen Briefe (Bd. 1: »Reisebriefe 1830–1832«, Leipz. 1861; Bd. 2: »Briefe 1833–1847«, das. 1863; Volksausg. in einem Band, 7. Aufl. 1899). [594] Mendelssohns »Briefe an Ignaz und Charlotte Moscheles« wurden von Felix Moscheles (Leipz. 1888) herausgegeben, der »Briefwechsel zwischen Felix M. und Julius Schubring« erschien daselbst 1891. Vgl. Ed. Devrient, Meine Erinnerungen an Felix M. und seine Briefe an mich (3. Aufl., Leipz. 1891); Hiller, Felix M., Briefe und Erinnerungen (2. Aufl., Köln 1878); S. Hensel, Die Familie M. in Briefen und Tagebüchern (12. Aufl., Berl. 1904, 2 Bde.); Karl Mendelssohn-Bartholdy (s. unten 2), Goethe und Felix M. (Leipz. 1871); Lampadius, Felix M., ein Gesamtbild seines Lebens und Wirkens (das. 1886); Reißmann, Felix M., sein Leben und seine Werke (3. Aufl., Berl. 1892); E. Wolff, Felix M. (das. 1905). – Aus dem Erträgnis einer Ausführung von Mendelssohns »Elias« unter Leitung von J. Benedict wurde 1848 in London unter dem Namen Mendelssohn-Scholarship ein Fonds begründet, dessen Zinsen als Stipendium an talentvolle junge englische Komponisten vergeben werden. Der erste Mendelssohn Scholar war Arthur Sullivan (1856–60). Auch Berlin besitzt eine Mendelssohn-Stiftung, bestehend in einem Stipendium von 1500 Mk. für junge deutsche Komponisten und ausübende Tonkünstler, die mindestens ein halbes Jahr an einem vom Staat subventionierten Musikinstitut studiert haben.

2) Karl, Historiker, Sohn des vorigen, geb. 7. Febr. 1838 in Leipzig, gest. 23. Febr. 1897 in Brugg (Schweiz), bereiste 1863 Griechenland, habilitierte sich 1864 für Geschichte in Heidelberg und ward 1867 Professor in Freiburg i. Br., war aber seit 1874 geisteskrank. Er schrieb: »Graf Johann Kapodistrias« (Berl. 1864); »Friedrich v. Gentz« (Leipz. 1867); »Der Rastatter Gesandtenmord« (Heidelb. 1869); »Geschichte Griechenlands von 1453 bis auf unsre Tage« (Leipz. 1870–74, 2 Bde.); »Goethe und Felix Mendelssohn-Bartholdy« (das. 1871) und gab den Briefwechsel Gentz' mit Pilat (das. 1868, 2 Bde.), die »Briefe an einen Staatsbeamten« des Generalpostmeisters K. F. v. Nagler (das. 1869, 2 Bde.) und die »Briefe des preußischen Generals und Gesandten Theodor Heinrich Rochus v. Rochow« (Frankf. 1874), die beiden letztern Werke in Gemeinschaft mit E. Kelchner, heraus.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 593-595.
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