Gallen, St. [1]

[868] St. Gallen, 1) Canton in der Schweiz; grenzt im Osten an das Fürstenthum Liechtenstein u. Tyrol (Vorarlberg), davon durch den Rhein geschieden, im Süden an Graubündten u. Glarus. im Westen an Schwyz, den Züricher See u. Zürich, im Norden an Thurgau u. den Bodensee u. umschließt den ganzen Canton Appenzell. Der Flächenraum des Cantons beträgt 35,57 QM. u. besitzt eine große Mannigfaltigkeit von höheren u. niederen Gebir, sgegenden u. ausgedehnten Thalflächen. Die höchsten Gebirgszüge stehen im Süden des Cantons, die mit ewigem Schnee bedeckte Scheibe auf der Grenze von St G., Glarus u. Granbündten, von welcher aus eine Kette ostwärts zum Calanda, eine zweite erst mit jener parallel u. dann von den begletscherlen Grauen Hörnern nordwärts zum Rhein bei Sargans, u. eine dritte endlich nach Nordwesten zieht, die ihre Zweige in den westlichen Theil des Cantons bis zum Wallenstadter See sendet Ein anderer Hauptzug, die Gonzenkette, zieht von den Gonzen bei Sargans nördlich am Wallenstadter See hin u. verzweigt sich nach Zürich hinein u. nördlich zur Thür; darin der Kammeck, Alvier, Gemsberg u. Faulfirst, die Sieben Kurfirsten, der Leistenkamm. Fast diesem parallel u. davon durch die Thür geschieden, läuft endlich der dritte Zug vom Seutis aus, der sich nach Südwesten u. Nordwesten zur Thur, mit den Spitzen Silberplatte, Lü tispitz. u. nach Osten u. Norden bis zum Bodensee verzweigt, wo der Fürglensirst, die Kanzel, der Hohekasten, Kamor u. Gäbris die höchsten Erhebungen bilden. In den Gebirgsarten herrschen Nagelflue- u. Molasseformation, stellenweise mit einander abwechselnd, die letzteren auch bedeutende Braun kohlenflötze enthaltend, vor nördlich u. südl ich vom Sentis; dagegen Kalk, Granwacke u. Thonschiefer südlich in den Alpen. Sämmtliche Flüsse des Cantons gehören zum Gebiet des Rh. ins; dieser selbst bildet die östliche Grenze auf einer Strecke von mehr als 10 Stunden u. nimmt die Tamina, Saren, den Trüb-, Lauter, Stockbach, Simmi u.a. auf; zum Bodensee fließt die Gold u. Steinach; im westlichen Theil des Cantons fließt die Thür, durch den Necker, die Glatt, Si tter u.a. verstärkt, in den Wallenstadter See ergießen sich die Seez, Terz, Murg u. Linth. Der Boden-, Wallenstadter- u. Züricher See gehören dem Can ton nur zum Theil an; außer diesem aber besitzt er noch eine Anzahl hochgelegener Alpenseen, meist im Süden gelegen. so der Wilde, Schotten-, Schwarze, Vilterser-, Wangsersee, die kleinen Terzen- u. Murgseen. Das Klima ist nach Lage u. Höhe der Gegenden verschieden, jedoch im Ganzen weniger rauh, als man vermuthen sollte. Die Producte sind zahl reich; unter den metallischen sind vorzüglich zu nennen die großen Eiseulager am Gonzen, etwas Silber u. Kupfer (früher auch Gold), Sandsteine, Braunkohlen, Mineralquellen bei Pfäffers, Gambs, Grabs, Buchs, Sargans u. Murg. Die Waldungen sind sehr ausgedehnt. Im Thierreich sind die wild lebenden Gattungen in stetem Abnehmen begriffen, wie die Gemsen, Murmel thiere. Dachse, Berghasen, Hirsche u. Rehe; der Lämmergeier um die Eisfirsten der Grauen Hörner, Sumpfvögel im Rheimhal; Fische liefern die Seen, vor allen der Wallenstadter, dann der Rhein u. die Thur, bes. Forellen. Der Ackerbau wird vorzüglich betrieben in den nördlichen Gegenden des Cantons, kann aber den Bedarf an Getreide nicht de ken, daher vieles Getreide gus Schwaben eingeführt wird; außerdem wird Wein gebaut im Rhein thal u. mit noch reicherem Ertrag Obst; die Viehzucht, durch ausgedehnten Wiesenboden begünstigt, macht einen Haupterwerb aus u. liefert Pferde, Rindvieh, Ziegen, Schafe u. Schweine; Alpenwirthschaft herrscht des vor im Bezirk Sargans. Hinsichtlich der industriellen Thätigkeit gehört St. G. in die erste Reihe der Cantone; vor allen ist zu nennen die Musselinstickerei, die Leinwandweberei ist dagegen jetzt herabgekommen, doch wird das Gewebe als Konstanzer Leinwand noch viel nach Italien u. Spanien ausgeführt; außerdem wird Barchent, Baumwollenzeug. Tücher, Leder gefertigt; auch die Seidenweberei ist eingeführt[868] Der Handel ist lebhaft u. ausgedehnt, der innere Verkehr sehr gehoben durch drei Eisenbahnen, deren zwei den Canton (von Rheineck über St. G. nach Winterthur u. von Sargans nach Rapperswyl) von Osten nach Westen durchschneiden, die dritte aber von Sargans bis Rheineck das Rheinthal durchläuft; Einw.: 169,625, wovon 105,370 Kachöllken, seit 1847 zum eigenen Bisthum St. Gallen vereinigt; die übrigen sind Reformirte Die Verfassung ist seit 1831 eine repräsentativ-demokratische u. sehr liberal; durch sämmtliche stimmfähige Bürger in den 15 Bezirken des Cantons wird frei u. direct der Große Rath gewählt; er besteht aus 150 Mitgliedern, 88–90 Katholiken u. 60–62 Evangelische, auf zwei Jahre gewählt, u. übt die höchste Gewalt aus mit allen der Souveränetät zukommenden Prärogativen u. Wahlen; doch kann das souveräne Volk gegen ein vom Großen Rath erlassenes Gesetz ein Veto einlegen, was innerhalb 45 Tagen geschehen muß. Die vollziehende Gewalt hat der Kleine Rath von sieben Mitgliedern, aus jenen auf vier Jahre gewählt, einen Landamman an der Spitze; jede politische Gemeinde hat einen Gemeinderath, jede Ortsgemeinde einen Verwaltungsrath. Die Rechtspflege wird durch Bezirksgerichte, ein Criminal- u. ein Cantongericht gehandhabt. In den Nationalrath sendet der Canton acht, in den Ständerath zwei Abgeordnete: zum Bundescontingent stellt er 7785 Mann u. zahlt 67,850 Fr. Beiträge. Das Schulwesen ist unter den Evangelischen befriedigender, hat sich aber bei den Katholischen ebenfalls gehoben, obwohl hier Lehrermangel u. Armuth der Eltern große Hindernisse bereiten; die sieben Realschulen u. die Cantonschule werden gerühmt. Die Einnahmen betrugen 1852_: 1,549,879 Fr., die Ausgaben 1,478,905 Fr. Die jetzt gebräuchlichen Münzen, Maßen. Gewichte sind die neuen schweizerischen überhaupt; wirklich geprägte Münzen in Gold: Doppel- u. einfache Ducaten; in Sicher: Conventionsspecies u. Gulden, 30,20,15 u. 10 Kreuzer; als Scheidemünze: 12,6 u. 3 Kreuzer, Batzen, halbe Batzen, Kreuzer u. halbe Kreuzer. Alte Maße waren: der Fuß à 12 Zoll à 12 Linien – 307,54 Millimètre, die Leinwandelle von 735,5, die Wollenelle von 610,83 (Millim.; der Schneller Baumwoll-Mousselingarn von 1000 Faden à 4–5 Fuß. Als Fruchmaß war der Mütt à 4 Viertel à 4 Mäßli, das Viertel aber an verschiedenen Orten verschieden von 19 bis über 201/2 Liter; Weinmaß: das Fuder von 7 1/2 Saum od. 30 Eimer à 32 Maß od. 41,98 Liter; Gold- u. Silbergewicht die kölnische Mark. 2) Bezirk darin, die Stadt St. G. umfassend; 3) Hauptstadt des Cantons an der Steinach u. der Eisenbahn von Rheineck nach Winterthur, Mauern abgetragen u. Gräben ausgefüllt Vorzügliche Gebäude sind: die ehemalige Benedictinerabtei mit der katholischen Haupt- od. Abteikirche, darin die Gebeine des St. Gallus u. anderer Heiligen; daneben das alte u. neue Pfalzgebäude, theils Residenz des Bischofs, theils Sitz der Regierung, des Cantongerichts, des Canton- u. Alt-Stiftischen Archivs; Cantonalzeughaus; außerhalb der Stadt liegt das Waisenhaus, die Real- u. höheren Bürgerschulen nebst dem Bibliothek- u. Museumsgebäude, das Bürger- u. das Fremdenhospital; dann das Bankgebäude u. das Gemeindehaus; die beiden reformirten Stadtkirchen zu St. Laurenzen u. St. Mangan sind neuerlich prächtig restaurirt. Bildungsanstalten in literarische Hülfsmittel sind: die katholische Cantonschule mit Lehrerseminar, die vormalige Stifts-, jetzt Cantonbibliothek mit mehr als 1000 alten Handschriften, die unschätzbare Denkmalealtdeutscher Geschichte u. Sprachkundeenthalten; das evangelische Gymnasium, 1842 durch eine Industrieschule erweitert, Sonntagsschule, Bürgerbibliothek od. Vadiana, im 16. Jahrh. von dem Bürgermeister Joachim von Watt (Vadianus) begründet u. dann der Stadt geschenkt; damit verbunden das Museum Sangallense, eine Sammlung von städtischen Familienwappen, Siegeln, Kupferstichen u. Prospecten; das Naturhistorische Museum; die Literarische, die Naturwissenschaftlich-landwirthschaftliche, welche jährliche Ausstellungen veranstaltet, u. zwei Lesegesellschaften, sowie der Kunst- u. Gewerbeverein besitzen ebenfalls eigene Sammlungen von Büchern u. Kunstsachen; auch existirt eine Jugendbibliothek, Bibelgesellschaft, Musikalische Gesellschaft, eine Buchhandlung, drei Buchdruckereien; 1851 wurde hier ein St. Gallusverein gegründet zur Stiftung eines katholischen Seminars. Die Industrie der Stadt liefert Leinwand, Baumwoll-, Woll- u. Seidenzeuge, Leder, welche Producte ein lebhafter Handel vertreibt; 11,230 Ew., wovon über 8000 Reformirte, die übrigen katholisch. In der Umgebung der Stadt sind viele schöne Spaziergänge angelegt, anziehender aber die schönen Aussichten von allen Höhen. bes. dem Freudenberge; 1 Stunde entfernt die über die Sitter führende Krätzernbrücke, 590 Fuß lang. St. G. ist der Geburtsort von G. I. Zollikofer u. Christoph Gitanner. Vgl. St. G. u. seine Umgebungen, St. Gallen 1858.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 6. Altenburg 1858, S. 868-869.
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