Erzgebirge [1]

[87] Erzgebirge (sächsisches E.), das erzreiche Grenzgebirge zwischen Böhmen und Sachsen (s. Karte »Sachsen«), erstreckt sich in einer Länge von 125 km von Pirna an der Elbe und vom Hohen Schneeberg über Bodenbach bis zur Zwota (Zwodau), die bei Falkenau in die Eger mündet. Südwestlich von der Zwota vermittelt das Elstergebirge (s.d.) die Verbindung mit dem Fichtelgebirge. Von Böhmen aus, wohin das E. steil nach der Biela und ins obere Egertal abfällt, macht es ganz den Eindruck eines den nördlichen Horizont begrenzenden Gebirges; denn während Bodenbach im Elbtal 135 m, Ossegg am Gebirgsfuß 290 m, Komotau 330 m und Franzensbad, im äußersten Südwesten, 441 m hoch liegen, sinkt der Gebirgsrücken vom 680 m hohen Nollendorfer Paß bis zur Elster nirgends unter 650 m, erhebt sich vielmehr auf lange Strecken selbst bis zu 800 und 1000 m und rückt dabei so nahe an den Südrand, daß die Entfernung der[87] höchsten Rücken und Kuppen vom Gebirgsfuß meist nicht mehr als 7–8 km beträgt. Das Nordgehänge dagegen ist ein breites, von zahlreichen tiefen, vielgewundenen Tälern durchschnittenes Hochland mit breiten, plateauartigen Rücken, ohne dominierende Höhen, indem kein Gipfel um mehr als 300 m die umgebenden Plateaus überragt. Der höchste Teil des Erzgebirges liegt im Quellgebiete der Zschopau und der Zwickauer Mulde, das kalte, nach Böhmen übergreifende sogen. sächsische Sibirien, wo auf einer Basis von nahe 650 m, auf der Eibenstock, Schneeberg, Geyer, Ehrenfriedersdorf, Wolkenstein, Annaberg, Marienberg, Sebastiansberg liegen, das Land zu 1000, in seinen höchsten Kuppen über 1200 m hoch ansteigt. Hier liegt an der Quelle des Schwarzwassers zwischen dem westlich gelegenen Spitzberg von 1111 m, dem nordöstlichen Fichtelberg von 1213 m und dem bedeutendsten Berg des Erzgebirges, dem Keilberg, von 1244 m Höhe, Gottesgab, sein höchster Ort, 1028 m ü. M. Steil, z. T. felsig ist der Absturz dieser Höheninsel ins nordwärts gerichtete Pöhltal sowie auch nach S., wo Joachimsthal über 511 m tiefer als der Keilberg liegt. An der nördlichen Hälfte erheben sich als tafelförmige Kuppen der Bärenstein (898 m), der Scheibenberg (805 m) und der Pöhlberg (832 m) bei Annaberg über das Plateau. Zwischen dem Schwarzwasser, der Zwickauer Mulde und Zwota erhebt sich das Plateau über 800 m mit den Gipfelhöhen des Auersbergs (1018 m), des Buchschachtelbergs (980 m), des Großen Rammelsbergs (956 m), am Westrand über der obersten Mulde mit dem Schneckenstein (874 m). Johanngeorgenstadt liegt noch 750 m hoch und das benachbarte Platten (890 m) noch höher. Jenseit der Preßnitz, bis Sebastiansberg reichend, liegt der kleinere östliche Flügel der höchsten Anschwellungen des Erzgebirges, in dem der Haßberg, nordöstlich von Preßnitz, nur 990 m erreicht. Zwischen dem Sebastiansbergpaß, über den die Straße von Annaberg nach Komotau und eine Eisenbahn führt, und dem 859 m hohen Paß zwischen Ossegg und Katharinenberg erheben sich nur wenige Punkte des bis unter 800 m sinkenden Rückens über diesen, darunter der 917 m hohe Bernstein. Nordöstlich dagegen steigt im Quellgebiet der Flöha, der Freiberger Mulde und der beiden Quellflüsse der Weißeritz, der Wilden und Roten Weißeritz, der Südrand des Erzgebirges bis über das Niveau von 850 m an. Die Höhe des Passes von Zinnwald, der über dieses Plateau nach Böhmen führt, ist 870 m. Die letzte, an 588 m über das Elbtal sich erhebende Höhe, der 723 m hohe Schneeberg, gehört schon dem Elbsandsteingebirge an. Von diesem hohen Südrand, dessen höchster Kamm weder mit der Wasser noch mit der politischen Scheide vollständig zusammenfällt, senkt sich das Land wie eine große, wellenförmige, geneigte Ebene nach NW., N. und NO., vielfach durchfurcht von den zahlreichen Gebirgsbächen und Flüssen. Die Höhen um Zwickau, Glauchau, Mittweida, Siebenlehn, Tharandt erheben sich nur noch bis 480 m, während die Orte selbst nur von 266 m bis unter 220 m hoch liegen. Hohenstein erhebt sich nur auf einer niedrigen Berginsel darüber, ebenso Augustusburg über der Zschopau. Auch der elliptische Kranz von einzelnen Höhen, die das Granulitgebirge im W. und O. von Waldheim, nördlich von Mittweida, umgeben, übersteigt nur wenig das Niveau von 300 m; die höchste derselben, der Rochlitzer Berg, ist 340 m hoch; doch sind die Täler noch über 100 m tief, z. T. eng und viel gewunden, der Plauensche Grund über 190 m tief eingeschnitten.

Geologisches. Der Kern des Gebirges besteht im NO. aus Gneis, im SW. aus Granit, Glimmer- und Tonschiefer. Der Gneis (grauer Biotitgneis und zweiglimmeriger Gneis, roter Muskovitgneis, Hornblendegneis nebst Einlagerungen von Amphibolit und körnigem Kalk) erstreckt sich von Schlettau und Annaberg im SW. bis Siebenlehn und Liebstadt im NO.; in Böhmen schneidet er mit dem Gebirge ziemlich scharf an der vorliegenden Ebene ab. Zwischen Frauenstein und Lauenstein, auch zwischen Freiberg und Tharandt wird der Gneis durchbrochen von Granit und Porphyr. Der Glimmerschiefer (mit Einlagerungen von Graphit führenden Gneisen, Quarzitschiefern, Amphibolit etc., aber auch von Geröll führenden Glimmerschiefern) begrenzt den Gneis im W. und ist besonders von Schlettau und Scheibenberg bis Joachimsthal in Böhmen entwickelt. Ihm schließt sich westlich ein Granitgebiet an, das sich von Eibenstock südwärts bis nach Karlsbad ausbreitet und weiter nordwestlich aus dem Tonschiefer bei Kirchberg und Oberlauterbach in Inseln hervorbricht. Der Glimmerschiefer, zwischen Joachimsthal und Bleistadt durch den Granit unterbrochen, zieht westlich von Bleistadt längs des Südrandes des Gebirges zum Fichtelgebirge. Versteinerungsleere Tonschiefer der Phyllitformation und des Kambriums mit Einlagerungen von Hornblendeschiefer, Dachschiefer, Kalkschiefer und Quarzit erstrecken sich auf der nordwestlichen Seite von Öderan im NO. bis Ölsnitz im SW. und sind besonders zwischen Adorf und Reichenbach verbreitet. Auch silurische Tonschiefer, Kieselschiefer und Grauwacken, z. T. mit Graptolithen, sowie devonische Tonschiefer, Quarzite und Kalke, beide mit Einlagerungen von Diabas und Diabastuffen, sind bei Hainichen und besonders südwestlich von Zwickau nachgewiesen. Gesteine der Kulmformation finden sich bei Wildenfels und Hainichen, Quadersandsteine zwischen Tharandt und Freiberg. Tertiäre Eruptivgesteine, besonders Basalte, erscheinen mehrfach dem Kamm des Gebirges kuppenförmig aufgesetzt (Bärenstein, Spitzberg, Pöhlberg, Scheibenberg, Fichtelberg, Geising etc.); Phonolith und Leuzitophyr kommen bei Oberwiesenthal, zusammen mit Basalttuffen, vor.

Das E. war bereits vor Ablagerung der produktiven Steinkohlenformation gefaltet und ausgerichtet; denn deren Schichten ruhen bei Zwickau und Hainichen noch ungestört (horizontal) auf den steil gestellten Kulmschichten und den unter den letztern hervortretenden, gefalteten ältern Schiefern auf. Nach der Ausrichtung des Gebirges brachen hier und da Eruptivgesteine, wie Porphyr, Porphyrit, Melaphyr etc., hervor, auch Mineralquellen, welche die Spalten, auf denen sie aufstiegen, mit Mineralien und Erzen erfüllten. Von den zahlreichen Erzgängen, die bei Freiberg, Marienberg, Schneeberg, Johanngeorgenstadt etc. das Gebirge durchschwärmen und früher eine große Ausbeute an Silber, Blei, Kupfer, Wismut, Zink, Kobalt, Nickel etc. ergaben, hat das E. seinen Namen. Auch Zinnerz fand sich sowohl in den sogen. Zinnseifen auf sekundärer Lagerstätte als auch in dem anstehenden Gestein, in den sogen. Greisen-Stockwerken, so zu Altenberg, Zinnwald, Graupen, Geyer, Schlaggenwald etc. (vgl. die Karte »Nutzbare Mineralien in Deutschland«, Bd. 4, S. 765). Die große Verwerfung, die das E. gegen das nordböhmische Braunkohlenbecken abschneidet und den steilen Südabfall des Gebirges bedingt, ist erst tertiärer Entstehung, ebenso wie die Basalte und Phonolithe,[88] die vereinzelte Kuppen auf dem Gebirgskamm bilden und in großen Massen im Böhmischen Mittelgebirge auftreten. Als Nachwirkung dieser letzten eruptiven Tätigkeit erscheinen die Thermalquellen des nördlichen Böhmen sowie die von Zeit zu Zeit sich wiederholenden erzgebirgischen Erdbeben.

Das Klima des Erzgebirges ist in seinen höhern Teilen rauh, so daß in den höchsten Gebieten selbst der Hafer nicht fortkommt und nur noch die Kartoffel gedeiht, freilich oft auch durch Spätfröste oder frühen Winter leidet. Frostfreie Tage auf der Nordseite in 100 m Seehöhe 166, in 700 m 110, in 900 m (Kamm) 119, schneefreie Tage 204,154 und 130. Regenmengen in verschiedenen Höhenstufen:

Tabelle

Gewittertage 24, Wärmeabnahme mit der Höhe pro 100 m: Nordseite Sommer 0,64°, Winter 0,48°, Südseite Sommer 0,72°, Winter 0,39°. Vgl. Kremser, Klima des Elbstromgebietes (Berl. 1899).

Die Pflanzenwelt des Erzgebirges ist im Vergleich zum Riesengebirge artenarm, während die dem schlesischen Gebirge vorgelagerte Ebenen- und Hügelregion von dem gleichen Gebiet Sachsens an Zahl der Arten in ziemlich bedeutendem Grad übertroffen wird. Dagegen enthält die Bergwaldregion des Erzgebirges zwischen 300–1200 m etwa nur den achten Teil der im Riesengebirge in gleichem Niveau vorkommenden Arten. Von alpinen Pflanzen kommen im E. nur Lycopodium alpinum, Selaginella spinulosa, Betula nana, Sweertia perennis und Homogyne alpina vor. Das E. bildet auch nicht in gleichem Grade wie das Riesengebirge eine Scheidelinie für südliche, nach N. vordringende Pflanzenarten, weil es denselben keine so bedeutenden klimatischen Schranken entgegenstellt wie jenes. Seit langer Zeit haben Berg- und Hüttenbau die Wälder verwüstet, die zahlreich anwachsende Bevölkerung hat den Wald vollends um die Orte ausgerodet, um Feld zu gewinnen. Daher findet sich jetzt nur noch auf den höchsten südlichen Rücken dichter Fichtenwald; auf dem nördlich davon gelegenen Plateau sind nur noch die Kuppen, mit Ausnahme derer von festem Basalt, die z. T. kahl sind, bewaldet. Außerdem sind die Berge aus Rotliegendem noch Waldreviere; so auch im Plauenschen Grund (herrliche Buchenbestände).

Das eigentliche E. hat sich als eine vom deutschen Stamm bewohnte Insel mitten in der slawischen Überflutung erhalten. Interessant ist der Zusammenhang vieler Ortsnamen mit der Umgebung, den Otte nachweist. Wildenstein, Wildenfels, Bärenstein, Bärenklau, Falkenstein, Hohenstein, Schneeberg sind Namen der rauhen nördlichen Abdachung; Falkenau, Eilau, Rosenthal, Schönbach gehören dem freundlichen Südgehänge an. Trotz ausgedehnter Viehzucht bedarf die dichte Bevölkerung wie der Getreideeinfuhr so auch der Viehzufuhr von außen. Früh hat sich im E. der Bergbau entwickelt. 1168 sollen sich die ersten Bergleute, vom Harz stammend, in der Gegend von Freiberg niedergelassen haben, und gegenwärtig liefert die Freiberger Gegend noch die Hauptsilberausbeute. Die im Oberland, um Annaberg, Schneeberg etc., durch den Erzreichtum angelockte Bevölkerung fand aber, als der Reichtum der Gruben sich zu erschöpfen anfing, nicht mehr ihr volles Brot beim Bergbau; dies führte zur Fabriktätigkeit. 1541 wurde durch Barbara Uttmann die Spitzenklöppelei eingeführt, für die zahlreiche Spitzenklöppelschulen bestehen. Daran haben sich andre Gewerbzweige, Stickerei, Posamentierarbeiten (1590 durch vertriebene Belgier hierher verpflanzt), Seidenwebereien, angereiht. Aber auch Eisen-, Spiel- und Holzwarenfabrikation, durch die Kräuter der Bergwiesen angeregter Olitätenhandel und andre Fabrikzweige sind hier zu Hause. So kommt es, daß bei dürftigstem Ertrag des Bodens sich doch auf diesem höchstgelegenen Teil Sachsens eine Bevölkerung erhält, die zu der dichtesten Europas gehört, zwischen 150 und 300 auf 1 qkm. 1585 aus Brabant eingewanderte Arbeiter führten die Weberei feinerer Zeuge ein. Einen außerordentlichen Aufschwung erhielten aber Weberei und Spinnerei in dem niedrigern Lande, das sich von Nossen bis Reichenbach konzentrisch um das höhere E. lagert, durch den Steinkohlenreichtum von Zwickau. Außer der Spinnerei und Weberei von Baumwolle und Wolle und der daran sich anschließenden Färberei, die in der Mulde zwischen Erz- und Granulitgebirge und in letzterm zu Hause ist, und wofür Chemnitz, Zwickau und Glauchau Hauptmittelpunkte sind, haben sich Fabriken für Maschinen, Porzellan, Steingut und Tonwaren, Waffen und Chemikalien, Glashütten und andre gewerbliche Anlagen hier angesiedelt. Die Hausindustrie liefert auch musikalische Instrumente (Markneukirchen, Graslitz, Schönbach), Handschuhe und Strohwaren. Erwähnung verdient noch das Gewerbe der musikalischen Nomaden (Musikbanden, Harfenistinnen), dessen Anfänge in das 18. Jahrh. zurückreichen, und das vorzugsweise im böhmischen Bezirk Preßnitz seine Heimat hat. Der Verkehr des Erzgebirges hat sich in neuester Zeit außerordentlich gesteigert durch den Bau von Eisenbahnen. Über den Scheitel des Gebirges führen die Eisenbahnen von Freiberg nach Brüx, von Chemnitz über Marienberg und Annaberg (zwei Linien) nach Komotau, von Zwickau (zwei Linien) nach Karlsbad und Falkenau; auf der sächsischen Seite durchziehen die Eisenbahnlinien Dresden-Chemnitz-Reichenbach, Chemnitz-Aue-Adorf u. a. das E., längs dessen Südfuß in Böhmen eine mehrfach verzweigte Bahn von Tetschen an der Elbe über Komotau nach Eger läuft, und mehrere Linien führen von N. her tief in das Gebirge hinein. Durch die Bemühungen des Erzgebirgsvereins ist in neuerer Zeit der Besuch des Gebirges von Touristen mehr in Aufnahme gekommen. Vgl. Berlet, Wegweiser durch das sächsisch-böhmische E. (10. Aufl., Annab. 1902); v. Süßmilch-Hörnig, Das E. in der Vorzeit, Vergangenheit und Gegenwart (Annab. 1889); R. v. Müller, Das sächsische E. (Dresd. 1902); Grohmann, Das Obererzgebirge und seine Städte (2. Aufl., Annab. 1903); Fischer, Technologische Studien im sächsischen E. (Leipz. 1878); Göpfert, Die Mundart des sächsischen Erzgebirges (das. 1878); Weymann, Führer durch das böhmische E. (Karlsb. 1881); Burgkhardt, Das E., orometrisch-anthropogeographische Studie (Stuttg. 1888); Laube, Geologie des böhmischen Erzgebirges (im »Archiv der naturwissenschaftlichen Landesdurchforschung Böhmens«, Bd. 6, Prag 1887–88); Schurtz, Der Seifenbergbau im E. und die Walensagen (Stuttg. 1890); Derselbe, Die Pässe des Erzgebirges (Leipz. 1891).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 6. Leipzig 1906, S. 87-89.
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