Ionische Republik [1]

[34] Ionische Republik (Ionische Inseln, Vereinigter Staat der Ionischen Inseln, Republik der Ionischen Inseln, Republik der Sieben Inseln), ein unter britischer Protection stehender Freistaat, welcher aus einer Gruppe von sieben größeren u. mehren kleinen im Mittelmeere an der Westküste Griechenlands u. der türkischen Provinz Albanien liegenden Inseln besteht; dieselben umfassen zusammen 51, 66 (50) QM. u. liegen in drei Gruppen; zur nördlichen gehören Korfu, 10, 69 QM., u. Paxo, 1, 22 QM., zur mittleren Sta. Maura, 8, 48 QM., Ithaka, 2, 07 QM., Cefalonia, 16, 39 QM., u. Zante, 7, 35 QM., beide Gruppen im Ionischen Meere; die südliche liegt im Agäischen Meere u. wird gebildet von Cerigo, 5, 46 QM., nebst einigen Eilanden. Sie sind sämmtlich gebirgig, mehrere, wie Paxos u. Ithaka, bestehen aus einem einzigen Berge; die höchsten Erhebungen sind auf Korfu der St. Salbador, 3200 Fuß, auf Sta. Maura der Eliasberg, 3000 Fuß, auf Cefalonia der Schwarze Berg (Arnos der Alten), 5000 Fuß, auf Zante der Monte Scopo, 1220 Fuß hoch. Die Küsten sind umgeben von Felsenriffen, die eine Schutzwehr gegen das Meer u. mehrere gute Häfen, Rheden u. Ankerplätze bilden. Das Gestein ist Kalkstein u. Schiefer der secundären Reihe, an welche sich tertiäre Felsarten schließen; vulkanische Spuren finden sich nicht, ebenso wenig warme Quellen, aber Erdbeben sind häufig. Die I. I. sind wasserarm; die auf allen vorhandenen süßen Quellen sichern nicht überall den Bedarf, daher man auch zu Cisternen seine Zuflucht nehmen muß; nur Korfu hat einen Fluß, den Messongi, der auch eine kleine Strecke schiffbar ist. Das Klima ist sehr angenehm u. mild, 13° mittlere Temperatur, die Sommerhitze drückend, da sie über 30° steigt, der Winter eine Regenzeit mit häufigen Gewittern; unter den Gefrierpunkt sinkt die Temperatur höchst selten; die Inseln werden sowohl von verheerenden Orkanen, als auch dem erstickenden Sirocco nicht selten heimsucht. Der Boden ist fruchtbar, aber bei dem Wassermangel u. der vernachlässigten Bodencultur, sowie der Zersplitterung des Bodens in kleine Besitztheile wird der Bedarf an Getreide nicht gedeckt. Producte sind bes. Korinthen (vornehmlich auf Zante u. Cefalonia), Rosinen (Cerigo), Wein (Muskatwein), Oliven, die zweimal jährlich geerntet werden, dann Obst, Südfrüchte, Baumwolle, Flachs; auf Korfu hat man in neuester Zeit gelungene Versuche mit dem Anbau von Zuckerrohr gemacht; aus dem Thierreich: Hafen, Kaninchen, Wachteln, Krammetsvögel, Schnepfen, wilde Tauben, Fische, Bienen, Seidenraupen, Kermes u. Korallen, von Hausthieren bes. Esel u. Ziegen, Rindviehzucht ist nicht erheblich; aus dem Mineralreich: Seesalz, Steinkohlen, Marmor, Schwefel, Bau- u. Mühlsteine, Erdpech (auf Zante von Alters her berühmte Quellen), auch gibt es einige Schwefel- u. schwache Salzquellen. Die Industrie beschränkt sich auf etwas Baumwollen-, Leinen- u. Seidenweberei, Teppichwirkerei aus Ziegenhaaren, Seifenfabrikation, Töpferei, etwas Gerberei u. Branntweinbrennerei, Seilerei; viele Ionier gehen zur Feldarbeit auf das Festland u. bedingen sich dafür Korn, Vieh od. Holz theils zum eigenen Bedürfniß, theils für den Handel aus. Schifffahrt u. Handel sind von hoher Wichtigkeit u. sehr lebhaft, letzterer durch gute Landstraßen erleichtert u. erstere durch eine große Zahl trefflicher Häfen begünstigt; sämmtliche 16 Häfen, worunter der von Korfu der bedeutendste, sind Freihäfen; dazu kommen die Ionische Bank in Korfu mit Zweigbanken auf Cefalonia u. Zante, eine Actiengesellschaft für Seeassecuranz, Wechseldiscont u. Bodmerei in Korfu, eine Versicherungsgesellschaft auf Zante, eine dergleichen u. Escompteanstalt auf Cefalonia, Leihbanken u. Handelsgerichte auf allen Inseln, fünf Leuchtthürme, drei Quarantäneanstalten; mit England besteht über Malta, Cagliari etc. unterseeische Telegraphenverbindung. Die Einfuhr an Getreide, Schlachtvieh, Holz, Fabrik- u. Colonialwaaren betrug 1858: 781, 121 Pfd. Sterl., die Ausfuhr an Olivenöl, Korinthen, Wein, Seesalz, Baumwolle u. Südfrüchten 374, 366 Pfd. Sterl. Bedeutend ist der Transitverkehr. Im Seeverkehr unterhalten die Dampfer des österreichischen Lloyd, der Liverpooler u. der griechischen Dampfschifffahrtsgesellschaft auf Syra die Verbindung mit den Haupthandelsplätzen der Levante, Italiens, mit Triest u. England. Ein w.: 241, 500; vorzugsweise Griechen bis auf etwa 8000 Italiener u. 7000 Juden, sonst leben noch hier Briten, Malteser u. andere Fremde. Sprache ist die neugriechische; Stände gibt es drei: Adel (Besitzer des Grundeigenthums, der höheren Beamtenstellen u. kirchlichen Würden), Bürger u. Bauern. Die Religion ist die griechisch-katholische, die höchste Stelle ist die des Eparchen, welche Würde unter den vier Metropoliten von Zante, Korfu, Sta. Maura u. Cefalonia wechselt; außer diesen ein Erzbischof, drei Bischöfe, zwei Protopopen; als geistliches Oberhaupt wird der Patriarch von Constantinopel anerkannt. Die römischen Katholiken, ungefähr 30,000, stehen unter einem Erzbischof u. zwei Bischöfen. Die höhere Geistlichkeit beider Confessionen wird vom Staat besoldet. Endlich gibt es noch drei anglikanische Kirchen in Korfu, Cefalonia u. Zante. Bildungsanstalten: Primärschulen in jedem größeren Dorfe, auf jeder Insel ein Lyceum, auf Korfu überdies ein College u. seit 1823 eine Universität, verbunden mit einem geistlichen Seminar für den griechischen Clerus, wie auch eine Gesellschaft zur Verbesserung des Ackerbaues u. zur Beförderung des Handels u. der Industrie. Von Wohlthätigkeitsanstalten sind die besten in Korfu, Strafanstalt, Irrenanstalt, Sparkasse. Verfassung: Die I. I. bilden unter dem Gouvernement u. Protectorat der britischen Krone einen unabhängigen Freistaat mit repräsentativer Verfassung; die britische Krone hat das Recht, die Verfassung mit zu organisiren, einen Repräsentanten, den Lord-Obercommissär, auf den Inseln zu halten, welcher das Veto hat in allen vom Senat u. der Repräsentantenversammlung gefaßten Beschlüssen, Chef der gesammten Civil- u. Militärverwaltung ist, zu Korfu residirt u. auf den übrigen Inseln durch einen Residenten vertreten wird; ferner hat sie das Recht, Besatzungen in die Festungen zu legen u. die Militärmacht des Landes ihren Befehlshabern unterzuordnen, die Republik[34] bei anderen Staaten zu vertreten, daher sie Gesandte weder annimmt, noch absendet; nur Consuln u. Handelsagenten fremder Mächte dürfen sich in ihren Häfen u. Städten niederlassen. Die Gesetzgebende Versammlung, das Parlament, besteht aus 42 Abgeordneten, von Korfu, Cefalonia u. Zante je 10, von Ithaka, Cerigo u. Paxo je zwei u. von Sta. Maura sechs, welche früher durch adelige Wahlmänner gewählt, jetzt aus freier Wahl hervorgehen; sie sind auf fünf Jahre gewählt, tagen zu Korfu, treten aller zwei Jahre am 1. März zusammen, wenn sie nicht früher zu einer außerordentlichen Sitzung einberufen werden u. bleiben drei Monate in Thätigkeit, wenn der Lordobercommissär die Sitzung nicht aufhebt od. verlängert, wogegen die Auflösung des Parlaments nur von der Krone selbst ausgesprochen werden, welche auch gegen jedes vom Parlamente u. dem Lordobercommissär genehmigte Gesetz ein Jahr lang das Veto, wie auch das ausschließliche Recht hat, Beamte zu entlassen. Die Ausübende Gewalt hat ein Senat, welcher aus einem Präsidenten, der den Titel Hoheit führt u. vom Schutzherrn auf fünf Jahre gewählt wird, u. aus fünf Senatoren, je einer für die vier größeren, u. einen für die kleineren Inseln u. aus einem Staatssecretär zusammengesetzt ist; die Senatoren werden auf fünf Jahre vom Lordobercommissär ernannt, u. drei müssen aus den Volksrepräsentanten sein; der Staatssecretär, von demselben ernannt, kann Ionier od. Brite sein. Jede Insel hat ihre Localregierung, den vom Volk gewählten Municipalrath mit dem Eparchen od. Regenten an der Spitze; die richterliche Gewalt wird von Civil-, Criminal- u. Handelstribunalen ausgeübt, außer denen noch ein Appellationsgericht vorhanden ist; für polizeiliche Vergehen bestehen eine Art Friedensgerichte; oberste Gerichtsinstanz ist der oberste Appellhof in Korfu. Seit dem Bestehen des englischen Protectorats ist ein theilweise dem Code Napoléon nachgebildetes Gesetzbuch eingeführt. Das Militär besteht aus der britischen Garnison: 3 Bataillonen Infanterie, 1 Bataillon Jäger, 3 Compagnien Artillerie u. 1 Compagnie Sappeurs (3–4000 Mann) u. aus der eingeborenen Miliz zu 4 Regimentern à 800 Mann; die Seemacht aus 2 britischen Schiffen u. 2 ionischen Dampfbooten; Hauptfestung ist Korfu. Einnahmen 1856: 381, 440 Pfd. Sterl., Ausgabe 357, 626 Pfd. Sterl., Staatsschuld 1853: 300,000 Pfd., Sterl., wovon 94, 641 Pfd. Sterl unverzinsliches Papiergeld. Münzen, Maße u. Gewichte: amtliche Rechnung nach Pfd Sterl in englischer Währung à 20 Schilling à 12 Pence, im Geschäftsverkehr nach Dollars (spanische Piaster) à 100 Cents (Oboli), 1 Dollar = 1 Thkr. 13 Sgr. 4, 9 Pf.; Hauptzehlungsmittel sind spanische u. südamerikanische Silberthaler (Dollars), sowie deutsche, bes. österreichische Conventionsthaler; außerdem cursiren englische Gold- u. Silbermünzen, französische Fünffrankenstücke, spanische Onzas (Dublonen); die einzigen ionischen Münzen sind in Silber 1/4 Schillinge u. 1/4 u. 1/10, Penny. Cerigo rechnet nach türkischen Piastern à 40 Para Längenmaß ist der venetianische Fuß = 133/4 englische Zoll, Ellenmaß der Braccio, Feldmaß die Misura (Barile) = 12, 2 französische Aren; Hohlmaße sehr verschieden; der Barile für Ol u. Wein = 68, 1 Liter. Das Gewicht ist Peso grosso (Schwergewicht), 1 Pfd. = 12 Oncie = 478, 5 Gramm = 1, 05 engl. Pfd., u. P. sottile (Leichtgewicht), um ein Drittel leichter u. nur für edle Metalle u. Droguen in Gebrauch; der Centinajo (Centner) = 100 schwere Pfund. Auf Cerigo braucht man das türkische Okengewicht. Titel: Durchlauchtige Republik der Sieben vereinigten Inseln des Ionischen Meeres. Wappen: ein gehender, goldener, geflügelter Löwe in blauem Felde, der in der rechten Vorderpranke einen Bund von sieben Pfeilen mit einem darüber hervorragenden Kreuz, in der linken ein geschlossenes, goldenes Evangelienbuch hält; auf der einen Seite die christliche Jahreszahl 1800, auf der anderen die entsprechende Zahl nach der Hedschra. Flagge: blau, roth eingefaßt, mit dem venetianischen geflügelten goldenen Löwen, der sieben Pfeile hält, u. der britischen Union in der hinteren Ecke oben.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 9. Altenburg 1860, S. 34-35.
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