Jordan [2]

[305] Jordan, 1) Silvester, deutscher Politiker, geb. 30. Dez. 1792 in Omes bei Innsbruck, gest. 15. April 1861 in Kassel, Sohn eines armen Schuhmachers, besuchte nach einer traurigen Jugend das Gymnasium in Innsbruck, studierte 1812–17 Philosophie und Rechte, ließ sich 1818 als Sachwalter in München, dann 1820 in Frankfurt a. M. und bald darauf in Heidelberg nieder, wo er sich gleichzeitig habilitierte. 1821 als außerordentlicher Professor der Rechte nach Marburg berufen, ward er schon 1822 ordentlicher Professor und Mitglied des Spruchkollegiums. Damals schrieb er: »Versuche über allgemeines Staatsrecht« (Marb. 1828) und »Lehrbuch des allgemeinen deutschen Staatsrechts« (Kassel 1831, Abt. 1). Auf dem 1830 berufenen Ständetag als Vertreter der Landesuniversität beteiligt, ward J. zum Vorsitzenden und Berichterstatter des mit der Prüfung der Verfassung beauftragten Ausschusses gewählt und beeinflußte wesentlich dessen Beratung. Von der konservativen Partei als Revolutionär verdächtigt, erhielt er beim Wiederzusammentritt der Stände Anfang 1833 keinen Urlaub. Als die Stände diesen Schritt als verfassungswidrig bezeichneten, erfolgte 18. März ihre Auflösung. J. verzichtete nun auf seine Wahl und lebte zurückgezogen seinem wissenschaftlichen Beruf, bis auf eine Denunziation hin im Juni 1839 eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet, er vom Amt suspendiert und verhaftet wurde. Erst im August 1840 war die Voruntersuchung geschlossen, 27. Febr. 1841 ward die Hauptuntersuchung verfügt, und 14. Juli 1843 erfolgte endlich die Publikation des Urteils. J. ward wegen Nichtverhinderung eines Komplotts zu 5 Jahren Festung, wobei die Untersuchungshaft nur mit 6 Monaten in Abzug kam, und zur Bezahlung des auf ihn fallenden Teils der Prozeßkosten verurteilt. Da Jordans Gesundheit seine Einkerkerung verbot, wurde er in seinem Hause durch Gendarmen bewacht und, als er eine Beschwerde über administrative Willkür einreichte, 2. Aug. wieder ins Gefängnis gebracht. Abermals verflossen 2 Jahre, ehe das Oberappellationsgericht in Kassel (5. Nov. 1845) J. völlig freisprach, ihn unter Niederschlagung der Kosten aus der Untersuchung entließ und ihn nur wegen unziemlicher Schreibart in einer Stelle seiner Verteidigungsschrift zu 5 Tlr. verurteilte. 1848 mahnte J., wieder in den Landtag gewählt, zu Mäßigung und Versöhnung, nahm am Vorparlament und der Nationalversammlung teil und ward mit dem Titel eines Geheimen Legationsrats Bevollmächtigter Kurhessens beim Bundestag (bis Januar 1850). J. gilt als der Schöpfer des Ausdrucks »Reaktionspartei«. Vgl. außer seiner »Selbstverteidigung« (2. Aufl., Mannh. 1845): Trinks u. Julius, S. Jordans Leben und Leiden (Leipz. 1845).

2) Rudolf, Maler, geb. 4. Mai 1810 in Berlin, gest. 26. März 1887 in Düsseldorf, begann seine künstlerische Ausbildung bei Wach in Berlin, verließ ihn jedoch schon 1830 und machte auf Rügen Naturstudien, auf Grund deren sein erstes Genrebild: die Fischerfamilie, entstand. 1833 wendete er sich nach Düsseldorf und arbeitete in der dortigen Akademie bei Schadow und K. Sohn. Dort begründete er 1834 seinen Ruf durch den Heiratsantrag auf Helgoland (Nationalgalerie in Berlin), der durch Nachbildungen sehr beliebt wurde. Von da ab widmete er sich ausschließlich der Schilderung des Fischer- und Schifferlebens, wozu er sich die Stoffe auf häufigen Reisen nach Holland, Belgien und Frankreich holte. Er stellte mit gleichem Geschick humoristische wie ernste, selbst tragische Szenen dar. Seine Auffassung ist gesund, die Zeichnung scharf individualisierend. Seine Färbung war anfangs kräftig und wurde nur zuletzt etwas flauer. Seine spätern Hauptwerke sind: zurückkehrende Lotsen (1836, Berliner Nationalgalerie), das Lotsenexamen (1842), die Lotsensturmglocke, Rettung aus dem Schiffbruch (1848), betende Weiber mit ihrem Geistlichen in Sturmesnot (1852), die Krankensuppe (in der Kunsthalle zu Düsseldorf), Suppentag im Kloster (Museum in Köln), das Altmännerhaus an der holländischen Küste (1864, Nationalgalerie in Berlin), Strandwache, eine Hochzeit auf der Insel Marken, das Frauenhaus in Amsterdam, gestrandete Passagiere, der Witwe Trost (1866, Nationalgalerie in Berlin), das Begräbnis des alten Seemanns (1874), nach durchwachter Nacht, Schiffbruch an der Küste der Normandie (1880), Rückkehr vom Heringsfang (1881), holländische Strandkneipe (1884) und eine große Zahl Familienszenen. Minder glücklich sind seine Darstellungen aus dem italienischen Volksleben. Viele von Jordans Gemälden sind durch Stich, Lithographie etc. weit verbreitet. Auch als Aquarellmaler, Illustrator und Radierer hat er sich vorteilhaft bekannt gemacht. Er war königlicher Professor und im Besitz der großen goldenen Medaille der Berliner Ausstellung.

3) Wilhelm, Dichter und Schriftsteller, geb. 8. Febr. 1819 in Insterburg, gest. 25. Juni 1904 in Frankfurt a. M., studierte 1838–42 in Königsberg, wo besonders die Vorlesungen von Karl Rosenkranz auf ihn wirkten, anfangs Theologie, dann Philosophie und Naturwissenschaften, setzte, schon promoviert, seine Studien 1842–43 in Berlin fort und ließ sich sodann in Leipzig nieder. Dort politischer und religiöser Dichtungen und Aufsätze wegen verfolgt und aus Sachsen verwiesen, siedelte er nach Bremen über, wo er, schriftstellernd und als Lehrer tätig, bis Februar 1848 lebte. In Freienwalde zum Abgeordneten fürs deutsche Parlament erwählt, trat er namentlich in der Polenfrage als Redner auf. Zum Sekretär des Marineausschusses ernannt, wurde er, nachdem die Gründung einer Flotte beschlossen war, als Ministerialrat in die Marineabteilung des Reichsministeriums für Handel berufen. Nach Versteigerung der deutschen Flotte von der Bundesversammlung pensioniert, nahm er in Frankfurt a. M. seitdem seinen Wohnsitz. Von einigen frühern Übersetzungen abgesehen, veröffentlichte J.: »Glocke und Kanone« (Königsberg 1841) und »Irdische Phantasien« (das. 1842), Dichtungen mit politischer Tendenz und von ziemlich stürmischem Inhalt; ferner: »Litauische Volkslieder und Sagen« (Berl. 1844); »Die begriffene Welt«, 6 Hefte einer Monatsschrift für populäre Darstellungen aus dem Gebiete der Naturwissenschaften (Leipz. 1843 bis 1844); »Schaum«, Dichtungen (das. 1846); »Ihr träumt. Weckruf an das Ronge-berauschte Deutschland« (das. 1845); »Geschichte der Insel Haïti und[305] ihres Negerstaates« (Leipz. 1846–49, 2 Bde.); »Demiurgos«, ein Mysterium (das. 1852–54, 3 Tle.); »Die Liebesleugner«, lyrisches Lustspiel (das. 1855); »Tausch enttäuscht«, Lustspiel (1856; 2. Aufl., Frankf. 1884); »Graf Dronte«, Schauspiel (1856); »Der falsche Fürst«, Schauspiel (1856); »Die Witwe des Agis«, Preistragödie (Frankf. a. M. 1858); »Shakespeares Gedichte« (Berl. 1861), und die Übersetzung der Tragödien des Sophokles (das. 1862). Unter allen diesen Werken sind »Die Witwe des Agis« und »Demiurgos« als Hauptwerke zu bezeichnen, letzteres eine philosophische Dichtung in episch-dramatischer Form. eine Art Faustiade, rücksichtlich der Gedanken nicht ohne Verdienst, aber breit und ohne Handlung. 1865 begann J. als wandernder Rhapsode mit dem Vortrag der »Nibelunge«, einer Wiederherstellung der Nibelungensage, die (in Stabreimen abgefaßt) in zwei getrennten Teilen: »Sigfriedsage« (Frankf. 1867–68, 14. Aufl. 1896) und »Hildebrants Heimkehr« (1874, 11. Aufl. 1899; neue wohlfeile Ausgabe von beiden 1904), erschien, an den verschiedensten Orten mit Beifall aufzutreten, und er hat seine Reisen bis nach Amerika ausgedehnt. Seine Anschauung über die mögliche Wiederbelebung des altdeutschen Epos legte J. in den Schriften: »Das Kunstgesetz Homers und die Rhapsodik« (1869), »Der epische Vers der Germanen und sein Stabreim« (1868) und »Epische Briefe« (1876) dar. Bei glänzenden Stellen und echt epischen Vorzügen im einzelnen, die in dem mündlichen Vortrag des durch seine reckenhafte Erscheinung imponierenden Dichters lichtvoll heraustraten, machen die »Nibelunge« doch mehr den Eindruck eines interessanten poetischen Experiments als einer ganz lebendigen Schöpfung. In den mehr gedankenvollen als dichterisch befriedigenden Romanen: »Die Sebalds« (Stuttg. 1885, 2 Bde.; 3. Aufl. 1896) und »Zwei Wiegen« (Berl. 1887, 2 Bde.; 2. Aufl. 1895) hat J. seinen naturwissenschaftlich begründeten Optimismus und seine Religion der Weltfreude dargestellt. Außer den genannten Werken veröffentlichte er (im Selbstverlag) noch die Lustspiele: »Durchs Ohr« (1870, 7. Aufl. 1901), »Sein Zwillingsbruder« (1883) und »Tausch enttäuscht« (1884), die Dichtungen »Strophen und Stäbe« (1871); die Schauspiele: »Arthur Arden« (1872); »Liebe, was du lieben darfst« (1892); »Andachten«, Gedichte (1877); »Die Erfüllung des Christentums« (1879); »Feli Dora«, Erzählung (1889); »Episteln und Vorträge« (1891); »Deutsche Hiebe«, eine poetische Streitschrift gegen die Naturalisten (1891); »Letzte Lieder« (1892); »In Talar und Harnisch«, Gedichte (1898, 2. Aufl. 1899) sowie die Übersetzung mehrerer Dramen Shakespeares (für die sogen. Dingelstedtsche Ausgabe, Hildburgh. 1865 ff.), der Homerischen Epen in HexameternOdyssee«, 1875, 2. Aufl. 1889; »Ilias«, 1881, 2. Aufl. 1894) und die wenig gelungene der »Edda« (1889, 2. Aufl. 1890).

4) Henri, Philolog, geb. 30. Sept. 1833 in Berlin, gest. 10. Nov. 1886 in Königsberg. studierte 1852–1856 in Bonn und Berlin, wirkte am Friedrichswerderschen Gymnasium in Berlin, habilitierte sich Ostern 1861 daselbst, war vom Herbst 1861 bis Ostern 1863 in Italien und wurde 1867 Professor in Königsberg. Seine Hauptwerke sind: »M. Catonis praeter librum de re rustica quae extant« (Leipz. 1860); »Scriptores historiae Augustae« (Bd. 1, Berl. 1864; Bd. 2 von Eyssenhardt); eine Ausgabe des Sallust (das. 1866,3. Ausg. 1887); »Topographie der Stadt Rom im Altertum« (das. 1871–85, 2 Bde., unvollendet); »Forma urbis Romae« (das. 1874); »Kritische Beiträge zur Geschichte der lateinischen Sprache« (das. 1879); »Capitol, Forum und Sacra Via in Rom« (das. 1881); »Der Tempel der Vesta und das Haus der Vestalinnen« (das. 1886). Aus seinem Nachlaß erschien das Fragment: »Die Könige im alten Italien« (Berl. 1887).

5) Max, Kunstschriftsteller, geb. 19. Juni 1837 in Dresden, besuchte von 1856 an die Universitäten Jena, Berlin, Bonn und Leipzig und veröffentlichte, anfangs dem Geschichtsstudium zugewendet, eine Monographie über Georg Podiebrad, den Böhmenkönig (Leipz. 1861). Eine längere Reise 1861 nach Italien bestimmte ihn jedoch. zur Kunstgeschichte überzugehen. Er wurde 1870 Direktor des städtischen Museums in Leipzig und habilitierte sich 1872 mit »Untersuchungen über das Malerbuch des Lionardo da Vinci« (Leipz. 1873) daselbst als Dozent an der Universität. Er gab Werke von Genelli, Schnorr von Carolsfeld und andern Meistern der neuern deutschen Kunst heraus, deren Popularisierung er eifrig zu fördern suchte. 1874 wurde J. Direktor der königlichen Nationalgalerie in Berlin, 1879 Mitglied des Senats der königlichen Akademie der bildenden Künste, 1880 vortragender und Geheimer Regierungsrat im preußischen Kultusministerium. 1895 legte er seine Ämter nieder. Er lieferte eine deutsche Ausgabe der »History of painting in Italy« und der »History of painting in North Italy« von Crowe und Cavalcaselle (Leipz. 1869–74, 6 Bde.) sowie des »Life of Titian« derselben Verfasser (das. 1877, 2 Bde.) und gab außer dem Katalog das »Album der Nationalgalerie« und mit Dohme »Das Werk Adolf Menzels« (Münch. 1889–90) heraus. Zum 80. Geburtstage Menzels veröffentlichte er einen Festgabe unter demselben Titel (Münch. 1895). Auch verfaßte er eine Biographie des Malers Max Koner (Bielef. 1901).

6) Wilhelm, Geodät, geb. 1. März 1842 in Ellwangen, gest. 17. April 1899 in Hannover, studierte am Stuttgarter Polytechnikum, war 1863–68 Ingenieur und Assistent daselbst, wurde 1868 Professor am Karlsruher Polytechnikum und 1882 an dem in Hannover. 1873–74 nahm er als Geodät und Astronom an der Rohlfsschen Expedition nach der Libyschen Wüste teil. Er schrieb: »Physische Geographie und Meteorologie der Libyschen Wüste etc.« (Kassel 1876); »Taschenbuch der praktischen Geometrie« (Stuttg. 1873), das in zweiter Auflage (1877–78) als »Handbuch der Vermessungskunde« in 2 Bänden erschien (4. Aufl. 1895 bis 1897, 3 Bde.; 5. und 6. Aufl. 1903 ff.); »Barometrische Höhentafeln« (u. Aufl., Stuttg. 1886); »Hilfstafeln für Tachymetrie« (das. 1880, 3. Aufl. 1905); »Mathematische und geodätische Hilfstafeln« (u. Aufl., Hannov. 1894); »Das deutsche Vermessungswesen« (mit K. Steppes, Stuttg. 1880, 2 Bde.); »Grundzüge der astronomischen Zeit- und Ortsbestimmung« (Berlin 1885); »Logarithmisch-trigonometrische Tafeln« (Stuttg. 1894); »Opus palatinum. Sinus- und Kosinus-Tafeln« (Hannov. 1897) u. a. J. redigierte 1873–99 die »Zeitschrift für Vermessungswesen«

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 305-306.
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