Kriminalität

[687] Kriminalität oder Straffälligkeit (hierzu »Kriminalistische Karten, I: Deutsches Reich, II: Österreich, Großbritannien, Frankreich, Italien«), der Umfang, in dem die Angehörigen eines Staates, eines Staatsgebiets oder einer einzelnen Bevölkerungsgruppe sich solcher Handlungen schuldig machen, die mit gerichtlicher Strafe bedroht sind. Die Statistik der Strafrechtspflege u. der Verurteilungen (Kriminalstatistik, Straffälligkeitsstatistik) ermöglicht Rückschlüsse auf die Höhe der Straffälligkeit. Ein vollständiges und unanfechtbares Bild derselben kann sie nicht geben. Eine sehr bedeutende Zahl der Straftaten gelangt überhaupt nicht zur Kenntnis dermit dem Strafverfahren betrauten Behörden; es gilt dies insbes. von den minder schweren Straftaten u. den nur auf Privatanklage oder Antrag des Verletzten zu verfolgenden. Der Umfang der Verurteilungen hängt ferner von der Wirksamkeit des Strafverfahrens ab. Je schwieriger bei einzelnen Straftaten der Nachweis des Tatbestandes oder der Täterschaft ist, um so weniger entspricht die Zahl der Verurteilungen jener der verübten Straftaten. Die Beweisschwierigkeit ist auch in den einzelnen Gebieten sehr verschieden, sie hängt unter anderm von der Eignung und Neigung der Bevölkerung zur Wahrheitsangabe ab. Von Bedeutung ist die Organisation der Polizeibehörden, deren vorbeugende und erforschende Tätigkeit, bei einzelnen Straftaten das Maß ihres Einschreitens (wie beispielsweise bei Anwendung der Trunkenheitsgesetze in England). In Straffällen, die den Geschwornengerichten zugewiesen sind, macht sich die Unsicherheit der Rechtsprechung geltend. Auch in jenen Staaten, in denen aus der Zahl der angezeigten Straftaten oder der verfolgten Personen auf die Höhe der Straffälligkeit geschlossen wird, ist der Schluß ein nur annähernder, denn einerseits entspricht die Zahl der angezeigten Straftaten nicht jener der begangenen, anderseits sind zahlreiche Anzeigen ungerechtfertigt. Ohne Berücksichtigung aller dieser Verhältnisse sind falsche Schlußfolgerungen aus der Straffälligkeitsstatistik naheliegend. Unzulässig sind Vergleiche der Verurteilungsziffern von Staaten mit verschiedenem Strafrecht, sofern sich die strafbaren Tatbestände nicht decken. Dasselbe gilt von der Statistik desselben Staates, wenn ein Wechsel im Strafrecht oder im Strafverfahren stattgefunden hat. Es ist insbes. darauf zu achten, daß eine Erweiterung des Gebietes des Strafrechts auf bisher nicht strafbare Handlungen naturgemäß eine Vermehrung der Verurteilungen nach sich zieht.

Straffälligkeit und Verbrechertum sind nicht identisch. Die weitaus überwiegende Mehrzahl der Verurteilungen, selbst solcher wegen schwerer Straftaten, bezieht sich auf vereinzelte Rechtsbrüche und läßt keinen Rückschluß auf eine verbrecherische Gesinnung zu. Seit weit mehr als einem Jahrhundert bemüht man sich, das Strafrecht von der kriminalpolitischen Seite aufzufassen, seine Zweckmäßigkeit in bezug auf die Ursachen der Straffälligkeit und die Wirkung der Strafe zu prüfen. Die überwiegende Mehrzahl der strafbaren Handlungen gegen Gebote oder Verbote findet eine einfache und natürliche Erklärung in den gesetzlichen Schranken, die der moderne Staat an sich in der Natur des Menschen begründeten Trieben auferlegt. Ein zu großes Anwachsen der Verurteilungen kann daher auch ein Zeichen sein, daß der Kreis der mit Strafe bedrohten Handlungen zu weit gezogen wurde. Soweit dies nicht der Fall ist, liegen die Ursachen der Straffälligkeit teils in der Person des Täters, teils in äußern Verhältnissen. In bezug auf die Tragweite der Beweggründe zur Verübung von Straftaten in ihrem Verhältnis zu den entgegenwirkenden Gründen steht die deterministische und die indeternimistische Auffassung in scharfem Gegensatz, indem die erstere das menschliche Handeln als ein von einem Willen vollkommen unabhängiges Ergebnis der Stärke der Gründe und Gegengründe erklärt (Willensunfreiheit), die zweite aber in diesem Widerstreite der Gründe dem menschlichen Willen eine mehr oder minder entscheidende Rolle zuweist (bedingte Willensfreiheit). Einige deterministische Schulen (italienische Positivisten) führen das Verbrechen vollständig einseitig auf bestimmte anthropologische, biologische oder soziologische Faktoren zurück. Hierher gehört die Lehre vom gebornen Verbrecher, die geradezu behauptet, daß der Verbrecher infolge angeborner Rückbildungseigenschaften (Atavismus) zum Verbrecher geboren sei und an bestimmten Entartungsmerkmalen (Degenerationsmerkmalen), die ihn vom normalen Menschen unterscheiden, erkannt werden könne. Dagegen wurde nachgewiesen, daß sich solche Merkmale in größerer oder geringerer Zahl auch an den übrigen Menschen gleicher Abstammung oder gleicher Lebensbedingungen finden, und daß die große Zahl der Straftaten überhaupt keinen Rückschluß auf Entartung oder Rückbildung zulasse.

Abgesehen von diesem Streite der Lehrmeinungen hat man vielfach versucht, den Einfluß äußerer Anreize zu strafbaren Handlungen statistisch zu ermitteln. Diese Versuche mußten notwendig an der Unmöglichkeit scheitern, das Gewicht eines einzelnen von den verschiedenen bei Begehung einer Straftat in Frage kommenden Umständen der Wirklichkeit entsprechend ziffernmäßig darzustellen, indem darüber weder der Täter selbst, noch allfällige Zeugen und Sachverständige verläßliche Auskunft erteilen könnten. Gewisse persönliche Eigenschaften, wie Alter und Geschlecht, werden jedoch erhoben, da sie zu allgemeinen Schlüssen wesentliche Anhaltspunkte geben.

Für die Beurteilung der Straffälligkeitsstatistik eines Landes ist die Kenntnis des Alters wesentlich, von dem ab die strafrechtliche Verantwortlichkeit beginnt (Strafmündigkeit). Die Strafmündigkeit beginnt in Deutschland mit dem vollendeten 12. Jahre (wobei vom 12.–18. Jahre Mangel der erforderlichen Reise von der Verantwortlichkeit befreit), in Österreich mit dem vollendeten 14. Jahre (wobei jedoch im Alter vom 10.–14. Jahre begangene Verbrechen als Übertretungen geahndet werden), in England mit dem vollendeten 7. Jahre (wobei vom vollendeten 7.–14. Jahre noch immer die Vermutung der Unzurechnungsfähigkeit gilt), in Italien mit dem vollendeten 9. Jahre (vom vollendeten 9.–14. Lebensjahr ist die Frage auf das Vorhandensein der Reise zu stellen), in Frankreich besteht keine unterste Altersgrenze, es ist jedoch bis zum vollendeten 16. Lebensjahr zu unterscheiden, ob der Täter mit oder ohne Unterscheidungsvermögen gehandelt hat.

Von großer Bedeutung ist die Frage der Rückfälligkeit, vor allem im Strafverfahren selbst zum Zwecke der richtigen Beurteilung des Täters, seiner Schuld und der ihm aufzuerlegenden Strafe. Insbesondere kommt die Rückfälligkeit im engern Sinn in Betracht, d. h. vorausgegangene Bestrafungen wegen der gleichen oder wegen einer auf gleicher Triebfeder beruhenden Straftat. In Fällen dieser Art wird häufig schon im Gesetz eine strengere Strafe angedroht (z. B. beim Diebstahl und Betrug). Auch wiederholte Rückfälligkeit ist noch nicht Gewohnheitsverbrechertum,[687] denn die Erfaht ung lehrt, daß nach wiederholten Abstrafungen in jugendlichem Alter mit zunehmender Reise die Straffälligkeit aufhört. Für die Zwecke des Strafverfahrens wird die Rückfälligkeit durch Anlegung von Strafregistern festgestellt, in denen die Abstrafungen wegen aller oder bestimmter Straftaten nach den Namen der Verurteilten geordnet gesammelt werden (regelmäßig durch Einlegen von Strafnachrichten, Strafkarten). Da Personen mit stark bemakeltem Vorleben begreiflicherweise ein Interesse daran haben, Namen und Herkunft zu verhüllen, ist man bemüht, ihre Identifizierung zu ermöglichen. Früher begnügte man sich mit Personsbeschreibungen und Photographien, wobei jedoch das Aufsuchen außerordentlich erschwert und die Feststellung nicht immer verläßlich war. Gegenwärtig erfolgt die Identifizierung in den meisten Staaten dadurch, daß bestimmte unveränderliche Merkmale, insbes. Maße, ausgezeichnet und die Identifizierungskarten nach denselben geordnet werden (Anthropometrie, s. Bertillonsches System), oder daß die Verschiedenartigkeit der Fingerabdrücke infolge der niemals übereinstimmenden Zeichnung der Papillarlinien benutzt wird (Daktyloskopie, s. Fingerabdrücke).

Für die Zwecke der Kriminalpolitik wird die Rückfälligkeit statistisch dargestellt. Zumeist beschränkt man sich auf die Ermittelung, wie viele von den Straffälligen bereits vorbestraft sind, wie groß die Zahl der Vorstrafen ist, in welche Zeit die letzte Vorstrafe fällt, allenfalls auf welche Straftaten sich die Vorstrafen und die letzte Abstrafung beziehen. In Deutschland besteht seit 1894 eine besondere Art der Erhebung, die es ermöglicht, annähernd festzustellen, wie viele Abgestrafte eines Jahres in den folgenden Jahren neuerdings bestraft wurden, und in welchem Verhältnis die Rückfälligen eines Jahres zu den bereits Bestraften der Vorjahre stehen.

Der Beginn der Kriminalstatistik (s. d.) reicht weit zurück (in Frankreich bis 1825), doch sind die ältern Erhebungen insofern unverwertbar, als sie teils nur das Strafverfahren betreffen, teils die Verurteilungsziffern ohne Rücksicht auf die Stärke der Bevölkerung oder betreffenden Bevölkerungsgruppe geben, welcher Umstand zu zahlreichen falschen Schlußfolgerungen Anlaß gegeben hat. Den gegenwärtigen Anforderungen entspricht im allgemeinen die Statistik von Deutschland, Österreich, Italien und England, die an Einzelheiten reichste ist die von Deutschland. Zu beachten ist der Kreis der in die Statistik einbezogenen Straftaten und deren Unterscheidung nach dem betreffenden Strafgesetz. In Deutschland werden Verbrechen, Vergehen und Übertretungen unterschieden, jedoch nur die beiden erstgenannten der Statistik unterworfen. In Österreich besteht dieselbe Dreiteilung, die Tatbestände decken sich jedoch nicht mit jenen des deutschen Rechts, einzelne Verbrechen und zahlreiche Übertretungen bilden nach deutschem Rechte Vergehen. Statistisch werden alle drei Arten gezählt. In Frankreich besteht ebenfalls die Dreiteilung, die Statistik wird jedoch verschieden geführt, je nachdem es sich um crimes und délits oder um die den Polizeigerichten zugewiesenen contraventions handelt. In Italien bestehen nur delitti und contravenzioni, in England werden indictable und non indictable offences unterschieden, von denen die letztern durchweg den Polizeigerichten zugewiesen sind und sich größtenteils als reine Polizeiübertretungen darstellen.

Als Quellen der Straffälligkeitsstatistik dienen in den genannten Staaten für Deutschland die »Kriminalstatistik« als Teil der »Statistik des Deutschen Reiches« (seit 1882); für Österreich die »Statistik der Strafrechtspflege«, seit 1882 (vorausgegangen »Übersicht der Strafrechtspflege«, 1845–48, »Tafeln zur Statistik der österreichisch-ungarischen Monarchie«, 1851–65, »Statistisches Jahrbuch«, 1863–81); für Frankreich der »Compte général de l'administration de la justice criminelle«; für Italien die »Statistica giudiziaria penale«; für England und Wales die »Criminal statistics«, die seit 1893 in neuer Gestalt erscheinen. Ähnliche Veröffentlichungen bestehen in andern Staaten. Die statistischen Daten werden in Deutschland, Österreich und Italien mittels Zählkarten beschafft, indem in jedem Einzelfall eine den Namen des Verurteilten, bestimmte persönliche Daten, den Gegenstand der Verurteilung, die Strafe und die Vorstrafen enthaltende Zählkarte ausgestellt und gesammelt der statistischen Behörde eingesandt wird. Der Inhalt der Zählkarten weicht in den einzelnen Staaten voneinander ab, in Österreich werden die Übertretungsverurteilungen noch mittels Tabellen festgestellt.

1) Deutschland (vgl. Karte 1).

Im J. 1901 wurden von den Zivilgerichten 497,310 Personen wegen 593,972 Handlungen (Verbrechen und Vergehen) verurteilt, davon entfielen 49,675 auf Jugendliche (im Alter bis zum vollendeten 18. Lebensjahre). Von den Verurteilten gehörten 406,544 (darunter 41,569 Jugendliche) dem männlichen, 77,718 (darunter 8106 Jugendliche) dem weiblichen Geschlecht an. Wird der Anteil berechnet, der auf 100,000 strafmündige, d. h. über 12 Jahre alte Angehörige der Zivilbevölkerung, bez. der betreffenden Altersgruppe entfällt, so ergibt sich für die Zeit von 1882 ab folgender Wechsel in der Straffälligkeit. Es entfielen Verurteilungen

Tabelle

Es hat daher tatsächlich ein bedeutendes Anwachsen der Verurteilungen stattgefunden, das sich jedoch auf das männliche Geschlecht beschränkt. Das Bild verliert an Schärfe, wenn die Natur der Straftaten in Betracht gezogen wird. In der folgenden Übersicht sind die Straftaten entsprechend dem System des deutschen Strafgesetzbuches zusammengezogen. Auf 100,000 Strafmündige entfielen im Jahresdurchschnitt Verurteilte wegen[688]

Tabelle

Zu bemerken ist, daß die Straftaten gegen das Leben und den Körper auch die fahrlässigen Handlungen einschließen (unter den erstern 1,8 in beiden Jahrzehnten, in den letztern 5,9 und 10,0). In Betracht kommt nur die Steigerung beim Widerstand gegen die Staatsgewalt (+ 7), bei den Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit (+ 7), bei der vorsätzlichen Körperverletzung (+ 82), beim Betrug (+ 17) und bei der Sachbeschädigung (+ 8) und das Sinken der Diebstahlsverurteilungen. Ausschlaggebend sind Körperverletzung und die Vermögensstraftaten in bezug auf die zeitliche Änderung in der Straffälligkeitsrichtung. In dieser Richtung ist es geboten, die einzelnen Tatbestände zu beachten. Vorsätzliche Tötung (Mord und Totschlag) sind von 0,39 und 0,45 auf 0,29 und 0,45, der Kindesmord von 0,53 auf 0,49 gesunken, die andern Tatbestände ergeben sich aus folgender übersicht. Auf 100,000 Verurteilte entfielen im Jahresdurchschnitt:

Tabelle

Es haben die schwersten Formen der Straftaten wider Leib und Leben abgenommen, die leichtern Formen dagegen sich so bedeutend vermehrt, daß der in Abnahme begriffene Diebstahl die führende Stellung bereits an die Körperbeschädigung abgegeben hat. Bei den gewinnsüchtigen Straftaten gegen das Vermögen wurde die Abnahme beim Diebstahl durch ein Ansteigen bei der Unterschlagung u. beim Betrug mehr als ausgeglichen.

Die Stärke der Straffälligkeit in den einzelnen Staatsgebieten des Deutschen Reiches ist aus der beigegebenen Karte I ersichtlich. Demnach sind am meisten belastet die Regierungsbezirke oder Kreise Mannheim (2125), Bremen (2028), Oppeln (2017), Bromberg (1831), Pfalz (1707) und Oberbayern (1707), wobei die Wehrpflichtsverletzungen außer Betracht blieben. Beim Diebstahl sind Schwarzburg-Rudolstadt, Westpreußen, Posen, Ostpreußen, Bremen, Hamburg, Reuß j. L. und Berlin, bei der gefährlichen Körperverletzung Pfalz und das rechtsrheinische Bayern am schwersten belastet. Die Pfalz gehört nur durch das starke Auftreten der gefährlichen Körperverletzung (1901 erreichte sie die Zahl von 673 gegenüber dem Reichsdurchschnitte von 248) zu den schwerst belasteten Gebietsteilen.

Von wesentlicher Bedeutung ist die Verteilung nach Alter und Geschlecht, indem sie zeigt, daß die ausschlaggebende männliche Straffälligkeit vorwiegend eine Alterserscheinung ist. Die deutsche Statistik hat den Grad der Straffälligkeit einer jeden Altersstufe nach einem der Stärke der Besetzung derselben Rechnung tragenden Schlüssel berechnet. Das Verhältnis der Belastung der Altersklassen im Jahrfünft 1897–1901 betrug:

Tabelle

Es zeigt sich, daß beim männlichen Geschlechte die Straffälligkeit in den Entwickelungsjahren bis zum Alter der Reise rasch ansteigt, um sodann wieder zu sinken, während bei dem an sich schwach beteiligten weiblichen Geschlecht sich keine so bedeutenden Änderungen zeigen und der Höhepunkt entsprechend der geringern Energie erst in der Altersstufe von 30–40 Jahren eintritt. In dieser Tatsache liegt zugleich eine Beruhigung in bezug auf die Zukunft. Die erhöhte Beteiligung Jugendlicher an dem wirtschaftlichen Leben hat eine Vermehrung der Straffälligkeit der männlichen Jugend nach sich gezogen, die jedoch in den spätern Jahren bei der großen Mehrzahl der Beteiligten wieder schwindet. Dieselbe Erscheinung zeigt sich auch in andern Staaten.

Aus folgender Zusammenstellung läßt sich der Entwickelungsgang bei beiden Geschlechtern ablesen. Es läßt sich ersehen, wie im allgemeinen und bei den an Bedeutung voranstehenden Straftaten die Straffälligkeit nach den Altersklassen steigt und sinkt, welchen Anteil in jeder einzelnen Altersklasse diese Straftaten nehmen, und wie sich in jeder Altersklasse und bei jeder dieser Straftaten die beiden Geschlechter zueinander verhalten. Es zeigt sich beispielsweise, wie in der dritten Altersklasse die Körperbeschädigung den Diebstahl weitaus überflügelt, und wie bei der Hehlerei in der Altersklasse von 40–50 Jahren die männliche und weibliche Straffälligkeit nahegerückt ist. Eingehenderes über die K. der Jugendlichen (vgl. die besondere Darstellung auf Karte 1) s. im Art. »Jugendliche[689] Verbrecher«. Der Anteil der einzelnen Altersklassen an der Straffälligkeit betrug 1901 in Deutschland (auf 100,000 Angehörige der Gruppe kamen Verurteilte)

Tabelle

2) Österreich (vgl. Karte II).

Zur Aufklärung ist voranzuschicken, daß die Vergehensverurteilungen vollständig durch die Tierseuchengesetze beherrscht werden, und daß sich dies besonders scharf in den Jahren 1881 und 1882 zeigt, in denen gewisse Zuwiderhandlungen gegen diese Gesetze Vergehen waren, die in der Folge als Übertretungen erklärt wurden. Ferner ist zu erwähnen, daß die Jahre 1898–1901 infolge zahlreicher Unruhen teils politischer, teils wirtschaftlicher Natur eine ungewöhnlich hohe Straffälligkeit zeigen. Sieht man davon ab, so ergibt sich in bezug auf die Verbrechensverurteilungen ein wesentliches Sinken (der Verbrechensbegriff ist in Österreich infolge seines veralteten Strafgesetzes ein sehr ausgedehnter). Auch die Übertretungsverurteilungen waren, nachdem sie infolge des neuen Landstreichergesetzes vom Jahre 1885 den Höhepunkt erreicht hatten, bis 1897 in wesentlicher Abnahme. Im J. 1901 erfolgten wegen Verbrechen 36,305, wegen Vergehen 9018, wegen Übertretungen 607,081 Verurteilungen (bei einer Zahl von 188,074 Anzeigen, die bei den Staatsanwaltschaften eingebracht wurden, 835 bei den Gerichtshöfen angebrachten Privatanklagen und 1,063,613 bei den Bezirksgerichten erstatteten Anzeigen, von denen 385,427 auf Privatanklagen erfolgten) Es entfielen auf 100,000 Strafmündige Verurteilungen wegen

Tabelle

Beachtet man die in bezug auf die Straffälligkeitsrichtung ausschlaggebenden Straftaten, so muß vor allem darauf hingewiesen werden, daß die Beleidigung obrigkeitlicher Personen im deutschen Strafrechte teils, soweit sie in Tätlichkeiten besteht, im Widerstand gegen die Staatsgewalt, teils, soweit sie in wörtlicher Beleidigung besteht, in den Beleidigungen eingeschlossen ist, daß der Mord auch den Totschlag des deutschen Rechtes umfaßt, dagegen der Totschlag des österreichischen Rechtes die Körperbeschädigung mit tödlichem Erfolge des deutschen Rechtes ist, die Hehlerei als Teilnehmung bei den betreffenden Straftaten mitgezählt wird, im Diebstahl auch die Wilderei und der Fischfrevel enthalten ist, das Verbrechen des Betruges auch Meineid, falsche Aussage, Urkundenfälschung und betrügerischen Bankrott umfaßt. Auf 100,000 Strafmündige entfielen im Jahresdurchschnitt Verurteilte

Tabelle

Man findet auch in Österreich eine Steigerung bei den Straftaten gegen die obrigkeitlichen Personen und bei den Unzuchtsverbrechen. Man findet ein Sinken bei den schwersten Straftaten gegen das Leben, eine geringfügige Steigerung bei der schweren Körperbeschädigung, eine bedeutende bei der leichten, ein Sinken der Verurteilungen beim Raub und beim Diebstahl, dagegen ein Ansteigen beim Betrug und der Sachbeschädigung. Die Bewegung ist daher eine ganz ähnliche wie in Deutschland.

Die Verteilung nach Alter und Geschlecht wird in Österreich nur bei den Verbrechen und Vergehen[690] festgestellt; bei den letztern würde die Anführung der Anteile infolge der Natur dieser Straftaten nur irreführen. Auf 100,000 der Altersgruppe entfielen im Durchschnitt der Jahre 1900 und 1901 an Verbrechensverurteilungen im Alter vom vollendeten

Tabelle

Da diese Erhebung auf die schwerern Straftaten beschränkt ist, ergaben sich gegenüber der deutschen Statistik Unterschiede. Bei beiden Geschlechtern ist der Höhepunkt im Alter von 20–25 Jahren erreicht. Werden die ausschlaggebenden Verbrechen hervorgehoben, so ergibt sich folgendes. Auf 100,000 Angehörige der Gruppe entfielen im Durchschnitte der Jahre 1900 und 1901 Verurteilte

Tabelle

Begreiflicherweise ergeben sich hier Unterschiede gegenüber der deutschen Statistik, die auf die Verschiedenheit der Tatbestände zurückzuführen sind, indem die österreichische Statistik nur die Verbrechen enthält. Gleichwohl zeigt sich jedoch auch hier, daß bei den Sittlichkeitsverbrechen der Höhepunkt in das jugendliche Alter fällt, bei der Gewalttätigkeit gegen obrigkeitliche Personen und der schweren Körperbeschädigung in die Stufe von 20–25 Jahren. Mit Rücksicht auf die Beschränkung auf Verbrechen, also schwerere Straftaten, fällt dagegen in Österreich der Höhepunkt auch beim Diebstahl und bei der Sachbeschädigung in diese Stufe.

Was die örtliche Verteilung betrifft, so geht sie aus der beigegebenen Karte hervor. In bezug auf die Verbrechen und Vergehen wird in Österreich auch die Verteilung nach Geburt und Heimatzuständigkeit erhoben, welche Feststellung eine bemerkenswerte Verschiebung in den Ländern mit starkem fremden Bevölkerungszusatz zeigt. Die betreffenden Erhebungen lassen sich jedoch ohne Erläuterung nicht darstellen, sie sind aber zur Beurteilung der Straffälligkeit der heimischen Bevölkerung von Bedeutung. Was die einzelnen Straftaten anbelangt, so sind nach den Erhebungen des Jahres 1900 am schwersten belastet in bezug auf die schwere Körperbeschädigung Krain, Dalmatien, Steiermark und Bukowina, auf das Verbrechen des Diebstahls Schlesien, Mähren und Bukowina (bei den nächststehenden Ländern Salzburg und Vorarlberg macht sich die fremde Straffälligkeit bemerkbar). Bei der leichten Körperbeschädigung sind Westgalizien, Ostgalizien, Bukowina, Krain und Dalmatien, bei der Übertretung des Diebstahls Bukowina, Mähren, Schlesien, Ostgalizien, Westgalizien und Dalmatien am schwersten belastet.

3) England und Wales (vgl. Karte II).

Die englische Statistik (für Irland und Schottland erscheinen besondere Veröffentlichungen) zieht die Schlüsse auf die Straffälligkeit nicht aus der Zahl der Verurteilten, sondern aus jener der Abgeurteilten, also einschließlich der Freigesprochenen. Soweit der Freispruch nicht mangels des Tatbestandes erfolgt, ist dieser Vorgang an sich nicht zu verwerfen. Mit Rücksicht auf die alten Formen des Verfahrens werden indictable offences (d. h. auf förmliche Anklage zu verfolgende Straftaten) und non-indictable offences unterschieden. Der größte Teil der erstern wird jedoch gegenwärtig nicht mehr vor den Geschwornengerichten, sondern wie die andern Straftaten vor den Polizeigerichten »summarisch« verhandelt. Bezüglich der zweiten Gattung von Straftaten unterscheidet die englische Statistik zwischen solchen, die strafrechtliche Natur besitzen, und den reinen Polizeiübertretungen. Im J. 1903 wurden von den Geschwornengerichten 11,882, von den Polizeigerichten 46,562 Personen wegen indictable offences verfolgt, außerdem von den letztern wegen non-indictable offences strafrechtlicher Natur 89,451, wegen Polizeiübertretungen 655,801 (darunter wegen Trunkenheit 230,180). Der zeitliche Wechsel geht aus folgender Übersicht hervor. Auf 100,000 Bewohner entfielen im Jahresdurchschnitt

Tabelle

Während sich also bei den eigentlichen Straftatbeständen ein erhebliches Sinken bemerkbar macht, ist bei den Polizeiübertretungen das Umgekehrte der Fall. Das Sinken der vor den Geschwornengerichten Verfolgten ist auf die zunehmende Verweisung der Straffälle an die Polizeigerichte durch Sondergesetze zurückzuführen. Neben dieser Statistik der abgeurteilten Personen wird auch eine solche der der Polizei angezeigten Verbrechen geführt. Bei Beurteilung der Straffälligkeit auf Einzelgebieten ist diese Gegenüberstellung von Wert, wenn sie auch nicht vollkommen verläßlich sein soll. Zur Klarstellung dürfte es genügen, wenn die Ziffern über den Diebstahl angeführt werden (bezüglich der meisten Straftaten besteht ein zu großer Unterschied in bezug auf Tatbestand und Gruppeneinteilung gegenüber dem deutschen Rechte). Es zeigt sich hier in jeder Richtung eine sehr erhebliche Abnahme (in den letzten fünf Jahren hat sich ein Ansteigen der absoluten Ziffern gezeigt, das jedoch bisher die Verhältnisziffern nicht ungünstig beeinflussen konnte). Auf 100,000 Bewohner entfielen im Jahresdurchschnitt[691]

Tabelle

Zu erwähnen ist, daß die Zahl der Abgeurteilten auch bei allen gewalttätigen Verbrechen gegen die Person (einschließlich Mord) in diesem Zeitraum von 8,6 auf 4,9 und bei den gewöhnlichen tätlichen Angriffen von 410,8 auf 196,7 abgenommen hat. Dasselbe gilt von der boshaften Sachbeschädigung, bei der die Abgeurteilten von 82,6 auf 52,4 gesunken sind. In keinerlei Beziehung stehen die Verurteilungen wegen tätlicher Angriffe und Trunkenheit. Bezüglich der letztern ist ausschließlich das Maß des Einschreitens der Polizei und die in den Jahren 1872 und 1903 eingetretene Erweiterung der Strafbestimmungen ausschlaggebend. Unter den tätlichen Angriffen sind auch die Tätlichkeiten gegen Wachtleute enthalten. Jahresdurchschnitt der Abgeurteilten auf 100,000 Bewohner:

Tabelle

Bedeutend ist auch die Abnahme der Straffälle wegen vorsätzlicher Tötung und Körperbeschädigung mit tödlichem Erfolg, indem die Zahl der Abgeurteilten von 1,64 (1862–66) auf 0,81 (1894–98), die Zahl der Verurteilten von 0,75 auf 0,39 gesunken ist. Es zeigt sich hier zugleich der hohe Freispruchsanteil.

In bezug auf die örtliche Verteilung der Abgeurteilten auf die einzelnen Grafschaften liegt eine Erhebung für den Zeitraum von 1894–98 vor. Nach derselben sind bezüglich aller indictable offences in England (bei einem Durchschnitt von 169 auf 100,000 Bewohner) am meisten belastet Monmouth mit 339, London mit 218, Lancaster mit 211, Northumberland und Warwick mit 207 und Durham mit 198, in Wales (bei einem Durchschnitt von 178) Glamorgan mit 257 und Brecon mit 191. Die Zahlen sind vollständig durch die Straftaten gegen das Vermögen beeinflußt, auf die in England 158, in Wales 162 Abgeurteilte entfielen. Sehr bedeutend sind die Unterschiede in den auf die Trunkenheit entfallenden Anteilen, indem hier England mit 593, Wales mit 835 belastet ist, und in ersterm in Northumberland 1647, Durham 1260, London 875, in letzterm in Glamorgan 1133, Pembroke 752 Abgeurteilte auf 100,000 Bewohner entfielen.

Was die Verteilung auf die Altersklassen anbelangt, so liegt eine Erhebung der Verurteilten für das Jahr 1898 vor. Aus dieser ergibt sich, daß die Altersklasse von 16–21 Jahren am stärksten belastet ist. Die beiden Geschlechter werden hierbei nicht getrennt behandelt. Auf 100,000 der Altersklasse entfielen

Tabelle

4) Frankreich (vgl. Karte II.).

Die französische Statistik enthält zwar reiches Ziffernmaterial, läßt jedoch größtenteils eine die Beurteilung der Straffälligkeit ermöglichende Bearbeitung vermissen. Auch sie rechnet nach den Angeklagten. Die Neigung, an Stelle der unsichern Rechtsprechung durch Geschworne jene der Gerichtshöfe treten zu lassen, hat eine stetige Abnahme der Schwurgerichtsanklagen zur Folge, die mit der Straffälligkeit begreiflicherweise nichts zu tun hat. Im J. 1900 wurden vor den Geschwornengerichten 3279, vor den Gerichtshöfen 202,720 Personen angeklagt. Die Zahl der Angeklagten vor den Polizeigerichten wird statistisch nicht ermittelt, sondern nur jene der Straffälle. Es zeigt sich nun im Verhältnis zur Bevölkerung beim Schwurgericht wie beim Gerichtshof eine Abnahme der Zahl der Angeklagten. Auf 100,000 Bewohner kamen bei den

Tabelle

Bezüglich der Verteilung auf die Altersklassen sind nur die Zahlen der Gerichtshöfe für das Jahr 1900 zu erwähnen, die mangels entsprechender Unterteilung verwertbar sind. Auf 100,000 der Altersgruppe kamen

Tabelle

Das anscheinend günstige Bild wird wesentlich beeinträchtigt, wenn das Ergebnis des Strafverfahrens in Betracht gezogen wird, denn es zeigt sich von Jahrfünft zu Jahrfünft, daß sich die Zahl der nicht bloß mangels Tatbestandes unverfolgten Falle ganz erheblich vermehrt hat.

Tabelle

Es liegt daher der Schluß nahe, daß die Abnahme der Aburteilungen keine Abnahme der Straffälligkeit bedeutet. Daß dieser Schluß richtig ist, kommt am schärfsten beim Diebstahl zum Ausdruck. Jahresdurchschnitt der Straffälle wegen

Tabelle

Das Verhältnis der Abgeurteilten, Verurteilten und Rückfälligen ergibt sich aus folgender Übersicht, die Gerichtshof und Geschwornengericht umfaßt:[692]

Tabelle

Bei den Polizeigerichten waren in diesen vier Jahrfünften im Durchschnitte 383,949,381,005,378,543 und 378,905 Straffälle anhängig.

5) Italien (vgl. Karte II).

Da im J. 1890 das italienische Strafgesetz in Kraft getreten ist, sind die vorangegangenen Jahre mit den spätern nicht vergleichbar. Im J. 1901 erfolgten 804,294 Strafanzeigen, deren Ergebnis sich nachstehend darstellt:

Tabelle

Im Durchschnitt der Jahre 1893–95 wurde bei 768,331 Beschuldigten das Verfahren gegen 95,301 mit Einstellung, 261,905 mit Freispruch, 351,647 (45,5 Proz.) mit Verurteilung beendet.

Zeitlich zeigt sich ein Ansteigen der Strafanzeigen, Aburteilungen und Verurteilungen gegen das Jahr 1899, das sodann einer rückgängigen Bewegung Platz macht. Auf 100,000 Bewohner entfielen

Tabelle

In den beiden ersten Jahrfünften entfielen auf die abgeurteilten Straffälle 1951 und 1996 abgeurteilte Personen. Für das Jahrfünft 1897–1901 liegt eine Berechnung des Verhältnisses der angezeigten Straftaten auf die Bevölkerung vor (beschränkt auf einige wesentliche Tatbestände). Außerdem bietet eine andre Berechnung für die Jahre 1887–1901 ein sehr lehrreiches Bild über die Verschiedenartigkeit der Wirksamkeit des Strafverfahrens gegenüber den einzelnen Gruppen von Straftaten.

Ein Auszug aus diesen Erhebungen gibt folgendes Bild:

Tabelle

Von besonderer Wichtigkeit ist der Gegensatz zwischen Körperbeschädigung und Diebstahl. In bezug auf die Zahl der Anzeigen überwiegt der Diebstahl ganz bedeutend, infolge des bedeutenden Abfalles durch Einstellung wegen unbekannten Täters zeigt sich bei den Aburteilungen bereits ein Überwiegen der Körperbeschädigung. Vergleicht man die Prozente der Einstellungen wegen unbekannten Täters mit denen der Aburteilungen, so ergeben sich in dem Unterschiede beider die Prozente der Einstellungen aus andern Gründen.

Für das Jahrfünft 1897–1901 liegt auch eine Berechnung der Verteilung der Zahl der Anzeigen wegen Vergehen und Übertretungen und bestimmter Tatbestände auf die einzelnen Landesteile u. Provinzen vor. Es zeigt sich, daß mit einer geringen Ausnahme (bei Raub und Erpressung und bei den verschiedenen Betrugsarten) durchwegs die südlichen Landesteile weitaus stärker belastet sind als die nördlichen und zumeist als der Reichsdurchschnitt beträgt. Bezüglich aller Straftaten beträgt letzterer 2553 auf 100,000 Bewohner, dagegen in Latium 9150, Sardinien 4665, Kalabrien 3628, Kampanien 3562, Abruzzen 3215, Potenza 2983, Apulien 2825, Sizilien 2801. Die schwerste Belastung trifft bei Widerstand gegen obrigkeitliche Personen Latium mit 113 und Sardinien mit 81, bei den Vergehen gegen die Sittlichkeit und Familie Sizilien mit 50 und Apulien und Kalabrien mit 42, bei der Tötung Sizilien mit 27, Sardinien und Kampanien mit 22, bei der Körperbeschädigung Kalabrien mit 562, Kampanien mit 503 und die Abruzzen mit 485, beim Diebstahl Sardinien mit 1068, Latium mit 697, Potenza mit 632, die Abruzzen mit 631, Kalabrien mit 624, bei Raub und Erpressung Sizilien mit 30 und Sardinien mit 21.

Von Interesse ist die Ermittelung der Gründe, aus denen eine Einstellung oder ein Freispruch erfolgte. Es ergab sich für den Durchschnitt der Jahre 1893–1895, daß von 350,776 Fällen dieser Art die Einstellung oder der Freispruch erfolgte wegen Mangels des Tatbestandes in 71,537, wegen Ausschlusses der Zurechnung infolge Geisteskrankheit in 527, infolge Trunkenheit in 79, mangels Unterscheidungsvermögens in 3523, infolge rechtmäßiger Entschuldigung in 2154, infolge Erlöschung der Strafklagen in 153,701, infolge mangels der Beweise oder der Täterschaft in 120,168, infolge verneinenden Wahrspruchs der Geschwornen in 2415 Fällen. Bei den einzelnen Straftaten herrscht begreiflicherweise eine große Verschiedenheit in bezug auf den Erfolg des Verfahrens. Von den angezeigten Straftaten kamen beispielsweise zur Aburteilung beim Widerstand gegen die Staatsgewalt 86,9 Proz., bei der Körperbeschädigung 75,4 Proz., bei Mord und Tötung 58,6 Proz., beim Diebstahl[693] 47 Proz., bei Raub und Erpressung 33,8 Proz. – davon kommen noch die Freisprüche in Abzug.

Auf 100,000 männliche Bewohner über 9 Jahre entfielen 11,090, auf ebensoviel weibliche 2290 Verurteilte im Durchschnitt des Jahrfünftes 1891–95. Die Altersklassenverteilung ergibt sich für diesen Zeitraum aus folgender Übersicht (die Trennung nach Geschlechtern ist nicht durchgeführt). 1891–95 entfielen auf 100,000 der Altersgruppe

Tabelle

Der Höhepunkt der Straffälligkeit fällt also auch in Italien auf das Alter von 18–21 Jahren. Was die einzelnen Straftaten anbelangt, so fiel der Höhepunkt in das Alter von 18–21 Jahren bei Unzucht mit Gewalt und an Kindern, schwerer Körperbeschädigung, schwerem und einfachem Diebstahl, Raub und Erpressung, Besitznahme und Sachbeschädigung, in jenes von 21–25 Jahren bei der Drohung, einfachen Tötung und leichten Körperbeschädigung, in jenes von 25–30 Jahren beim Widerstand gegen obrigkeitliche Personen, bei erschwerter Tötung, Betrug und widerrechtlicher Aneignung.

6) Besondere Einflüsse auf die Straffälligkeit.

In einem gewissen Sinne gehören die Unterschiede in der Straffälligkeit nach Alter und Geschlecht hierher. Die Straffälligkeit der beiden Geschlechter ist aus innern Gründen eine derart verschiedene, daß die gemeinsame statistische Bearbeitung geradezu das Bild verdunkelt. Bei beiden Geschlechtern macht sich in den ersten Altersklassen neben geringerer Einsicht und Widerstandskraft die geringere Möglichkeit erlaubter Befriedigung an sich natürlicher Triebe geltend. Während jedoch die geringere Energie des weiblichen Geschlechtes bei allen Straftaten, die auf Gewalttätigkeit beruhen, hemmend wirkt und selbst bei Straftaten gegen das Vermögen eine Einschränkung auf leichtere Formen nach sich zieht, steigt beim männlichen Geschlechte die Straffälligkeit auf dem Gebiete der Sittlichkeit, des Eigentums und der Körperverletzung sofort rasch an, um aber nach Erreichung der Reise ebenso rasch zu sinken. Der Beginn und der Höhepunkt der Straffälligkeit des jugendlichen Alters richtet sich begreiflicherweise nach der natürlichen raschern oder langsamern Entwickelung, die teils individuell ist, teils von der Zugehörigkeit zu bestimmten Volksstämmen, von klimatischen oder gesellschaftlichen Verhältnissen abhängt. Einzelne Straftaten werden vorwiegend von Jugendlichen begangen, weil sie auf Übermut zurückzuführen sind, oder weil sich der Anlaß hierzu gerade im jugendlichen Alter bietet (Kindsmord), bei einzelnen kommt nur das männliche Geschlecht in Betracht (Zweikampf), bei andern das weibliche (Kindsmord), wieder bei andern vorwiegend das gereifte Alter (Amtsverbrechen, Bankrott). In allen diesen Richtungen kann nur das Eingehen auf die einzelnen Tatbestände Klarheit verschaffen. Eine wesentliche Rolle spielt der Umfang, in welchem die Altersklassen der beiden Geschlechter in das wirtschaftliche Leben eintreten, und in dieser Richtung müssen zeitliche und örtliche Unterschiede berücksichtigt werden, soll nicht die Statistik geradezu zur Quelle von Irrtümern werden. Beim weiblichen Geschlechte darf die Prostitution als Erwerbsquelle nicht außer acht gelassen werden, denn diese trägt zweifellos, soweit sie nicht selbst strafbar erklärt ist, zur Verringerung der Straffälligkeit des weiblichen Geschlechts bei. Es darf eben nicht übersehen werden, daß die Straftaten wider das Eigentum als Mittel zur Befriedigung sonst unzugänglicher wirklicher oder vermeintlicher Bedürfnisse oder Genüsse dienen.

Man hat vielfach versucht, auch die Beziehung des Bildungsgrades zur Straffälligkeit festzustellen. Diese Versuche mußten sich notwendig darauf beschränken, das größere oder geringere Maß von Kenntnissen festzustellen. Abgesehen davon, daß beispielsweise die Kenntnis des Lesens und Schreibens weder einen richtigen Maßstab für die Bildung, noch aber einen solchen für das sittliche Empfinden gibt, fehlt es an der Möglichkeit, den Umfang dieser Kenntnisse in der Bevölkerung im allgemeinen ziffernmäßig für die verschiedenen Altersklassen derart festzustellen, daß das beiderseitige Verhältnis ermittelt werden könnte. Aus der Straffälligkeitsstatistik selbst ergibt sich, daß mit zunehmender Allgemeinbildung die rohesten Formen der Gewalttätigkeitsstraftaten abnehmen. Wenn der Anteil der des Lesens und Schreibens Unkundigen unter den Straffälligen größer befunden würde als unter der Allgemeinbevölkerung, so ließe dieser Umstand doch keinen Schluß zu, weil die der Straffälligkeit am meisten unterliegenden Bevölkerungskreise gewiß einen höhern Anteil an diesen Unkundigen haben als die Allgemeinbevölkerung.

Ganz ähnlich verhält es sich mit der Ermittelung der Straffälligkeit der einzelnen Berufsgruppen. Die italienische Statistik hat für die Jahre 1890–1895, die deutsche Statistik wiederholt, die österreichische für 1900 und 1901 Umrechnungen der Straffälligkeit auf die Angehörigen der Berufsklassen vorgenommen. Schon die Feststellung des Berufs der Verurteilten unterliegt dann Schwierigkeiten, wenn, wie bei den untersten Erwerbsklassen, der Verurteilte keinen festen Beruf hat (wie die zahlreichen Personen, die als Tagelöhner, Dienstgesinde oder Hilfsarbeiter Beschäftigung finden). Dazu kommen die eigentlichen Verbrecher und Arbeitsscheuen, die schon seit sehr langer Zeit keinen bürgerlichen Beruf mehr ausüben, sich aber noch immer zum frühern Berufe bekennen, und alle jene, die sich scheuen, ihren wirklichen Beruf zu nennen, wie die Prostituierten. Es werden daher stets so bedeutende Verschiedenheiten in den grundlegenden Ziffern der Straffälligkeitsstatistik und der Volkszählungsergebnisse bestehen, daß die gegenseitige Beziehung nur zweifelhafte Schlüsse zeitigen kann. Selbst die Ermittelung des berufsmäßigen Verbrechertums ist nicht leicht, denn aus einer Zahl von Vorstrafen allein kann darauf nicht geschlossen werden. Die Beurteilung dieses Umstandes ist sogar im Strafverfahren selbst nicht leicht, in welchem der Einzelmensch auftritt, um soviel weniger in der Statistik, die auf Zahlen angewiesen ist und die Umstände des Falles und der Person nicht würdigen kann. Einigen Anhaltspunkt gibt die Statistik der Strafanstalten. Auch die Berufsstatistik müßte im übrigen nach der Art der Straftaten unterscheiden, da es ja selbstverständlich ist, daß bei bestimmten Straftaten nur oder vorwiegend Angehörige eines bestimmten Berufes beteiligt sind-sie müßte überdies nach Ort der Begehung und Volksstamm des Täters unterscheiden, sonst wird auf den Beruf eine Erscheinung zurückgeführt, die in den Verhältnissen des Ortes oder den Eigenschaften des Stammes wurzelt[694] Auch die Ermittelung der ehelichen oder unehelichen Geburt wurde in der Straffälligkeitsstatistik zu Schlüssen verwertet. Auch hier liegt die Fehlerquelle nahe. Der Anteil der Unehelichen an der Gesamtbevölkerung ist nicht ausschlaggebend, sondern nur der Anteil an den an der Straffälligkeit meist beteiligten Volksschichten. Dann kommt es darauf an, ob nach den Verhältnissen des betreffenden Gebietes die Unehelichkeit der Geburt eine Beeinträchtigung in bezug auf Erziehung, gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung nach sich zieht, was bekanntlich keinesfalls allerorts der Fall ist.

Die Statistik hat sich auch mit der Frage beschäftigt, ob dem Glaubensbekenntnis ein Einfluß auf die Straffälligkeit zukomme. Das Ergebnis der in Deutschland und Österreich gemachten Berechnungen dürfte nur in dem Sinne zu verwerten sein, daß in dem Umfang, als das Glaubensbekenntnis gleichzeitig die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volksstamm bedeutet, dies auch in der Straffälligkeit zum Ausdruck kommt.

In Deutschland verteilten sich die Verurteilungen im allgemeinen und nach den vier Hauptgruppen folgendermaßen auf die drei in Betracht kommenden Bekenntnisse. Auf 100,000 der Glaubensgruppe kamen

Tabelle

Die Aufklärung ergibt sich erst durch die Beachtung der einzelnen Straftaten und der örtlichen Verteilung. Die stärkere Belastung der Katholischen ist darauf zurückzuführen, daß die meisten der mit der Zahl nach ausschlaggebenden Straftaten belasteten Gebiete katholisch sind (insbes. Süddeutschland und die polnischen Gebiete von Preußen). Auf 100,000 der Glaubensgruppe kamen

Tabelle

Scharf tritt die Wechselbeziehung zwischen Volksstamm und Glaubensbekenntnis bei den Juden hervor, bei denen gleichzeitig das Vorherrschen bestimmter Berufe sich auch in der Art der Straffälligkeit bemerkbar macht. An sich weniger belastet als die übrigen Bekenntnisse, sind sie bei einzelnen Gruppen von Straftaten, die in einer gewissen Beziehung zu ihren gesellschaftlichen und gewerblichen Verhältnissen und Anschauungen stehen, stärker belastet, so bei Meineid und dem Eidesvergehen, den Religionsvergehen, bei Beleidigung, Erpressung, Betrug, Untreue, Nahrungsmittelfälschung, Urkundenfälschung, betrügerischem und einfachem Bankrott, Straftaten in bezug auf das Konkursverfahren, auf Glücksspiele und Lotterien, Verletzung fremder Geheimnisse, Wucher, strafbaren Eigennutz, Verletzung des geistigen Eigentums, Tierseuchen vergehen, aktiver Bestechung. Bei den der Zahl der Verurteilungen nach ausschlaggebenden Straftaten sind sie zumeist weit geringer belastet.

Ähnlich und in mancher Beziehung noch schärfer zeigt sich die Wechselbeziehung zwischen Volksstamm und Glaubensbekenntnis in der österreichischen Statistik, indem hier das griechisch-orientalische Bekenntnis hinzukommt, das vollständig die Straffälligkeit von Dalmatien und Bukowina spiegelt. Gleichzeitig prägt sich die Besonderheit der Straffälligkeit der Juden insofern schärfer aus, als sie in Galizien einen bedeutenden Bevölkerungsanteil darstellen, so daß die Besonderheiten des Volksstammes noch deutlicher zum Ausdruck kommen. Beschränkt man sich auf die Verbrechensverurteilungen, so ergibt sich für den Jahresdurchschnitt 1900/1901, daß auf 100,000 der Gruppe entfielen

Tabelle

Auffällig ist, daß sowohl die Evangelischen als die Juden in Niederösterreich eine höhere Verbrechensstraffälligkeit haben als die Katholiken. Es ist dies auf die bekanntlich stärkere Straffälligkeit fremder Elemente zurückzuführen, die sich natürlich in der Großstadt zusammendrängen. Es soll hierauf noch zurückgekommen werden. In Galizien, wo die Juden, wie erwähnt, in großer Zahl einheimisch sind, ist ihre Straffälligkeit geringer.

Nach der Art der Straffälligkeit der Angehörigen der verschiedenen Glaubensbekenntnisse entfielen auf 100,000 Angehörige der Gruppe im Durchschnitt der Jahre 1900 und 1901

Tabelle

Hier ergibt sich bei den der Zahl nach geringern Evangelischen ein Vorwiegen der bei Angehörigen[695] höherer Berufe vorkommenden Straftaten, welcher Umstand der Tatsache entspricht, daß ein verhältnismäßig größerer Teil der Evangelischen in Österreich solchen Berufen angehört. Bei den Griechisch-Nichtunierten zeigt sich ein Vorwiegen der ihrem Volksstamm eigentümlichen Straftat, bei den Juden ein Vorwiegen solcher Straftaten, die im Handel vorzukommen pflegen. Der hohe Anteil an den Tierseuchenvergehen bei den Griechisch-Orientalischen und den Juden erklärt sich durch die häufige Begehung dieser Vergehen in Galizien und Bukowina.

Von großer Bedeutung ist der Unterschied in der Straffälligkeit der einheimischen und der zugewanderten Bevölkerung. Es ist dies naheliegend, denn ein Teil der Zugewanderten hat ein bereits bemakeltes Vorleben, ein großer Teil derselben lebt in unsichern Verhältnissen und hat den Halt verloren, den die heimatlichen Beziehungen geben. Es wird dies statistisch in dem höhern Verurteilungsanteil der Ausländer und in Österreich auch in jenem der nicht zuständigen Bevölkerung der einzelnen Länder festgestellt. In Deutschland kamen 1901 auf 100,000 Inländer 877, auf ebensoviel Ausländer 1288 Verurteilte, beim Widerstand gegen die Staatsgewalt 33 gegen 69, bei den Straftaten gegen die Sittlichkeit 22 gegen 42, bei der gefährlichen Körperverletzung 173 gegen 236, beim Diebstahl 142 gegen 348, beim Betrug 38 gegen 96 etc. In bezug auf die Verteilung auf die einzelnen Auslandsstaaten ist zu berücksichtigen, daß jene Staaten, aus denen vorwiegend Arbeiter kommen, einen höhern Anteil aufweisen. Bei der gefährlichen Körperverletzung stehen Rußland mit 686, Italien mit 417 obenan, beim Diebstahl Rußland mit 788, Italien mit 330 und Österreich-Ungarn mit 325, beim Betrug Rußland mit 153, Schweiz mit 119, Italien mit 118, Österreich-Ungarn mit 117.

In Österreich entfielen 1901 auf 100,000 der Gesamtbevölkerung 139 Verbrechensverurteilungen, dagegen auf ebensoviel Ungarn 294, auf ebensoviel Ausländer 314.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 687-696.
Lizenz:
Faksimiles:
687 | 688 | 689 | 690 | 691 | 692 | 693 | 694 | 695 | 696
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Buchempfehlung

Dulk, Albert

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Diese »politische Komödie in einem Akt« spiegelt die Idee des souveränen Volkswillen aus der Märzrevolution wider.

30 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon