Polen [3]

[87] Polen (hierzu Karte »Westrußland«), ehemaliges europäisches Reich, das ursprünglich nur die Woiwodschaften Posen, Gnesen, Kalisch, Lublin, Rawa, Sieradz, Podlachien und Plozk umfaßte, bald auch über Schlesien und Pommern und eine Zeitlang sogar über Böhmen und Mähren sich ausdehnte, später Litauen und Livland, die Lehnsherrschaft über Preußen, Kurland mit Semgallen wie über die Moldau und Walachei und die Herrschaft über die Mehrzahl der Kosaken besaß, nach Verlust der Moldau und Walachei und andrer Gebietsteile unter Siegmund II. (gest. 1572) noch 1,040,000 qkm mit etwa 27 Mill. Einw. und vor seiner ersten Teilung (1772) 750,900 qkm mit über 12 Mill. Einw. umfaßte. Durch die drei Teilungen Polens fiel ein Areal von 483,700 qkm mit fast 6 Mill. Einw. an Rußland, 121,500 qkm mit 3,6 Mill. Einw. an Österreich und 145,700 qkm mit 2,7 Mill. Einw. an Preußen. Man unterschied in P. drei große Provinzen: Großpolen, Kleinpolen und Litauen (s. d.).

Das alte P. war von 1572 an bis zur dritten Teilung (1795) eine aristokratische Republik mit einem Wahlkönig an der Spitze. Alle Gewalt ruhte in den Händen des Adels, der allein auf den Reichstagen das Volk vertrat. Der Bürgerstand war von denselben ganz ausgeschlossen. Die ordentlichen Reichstage wurden vom König ausgeschrieben und alle zwei Jahre zweimal hintereinander in Warschau, dann das drittemal in Grodno abgehalten. Nach dem Ableben des Königs trat eine Zwischenregierung (Interregnum) ein, indem der Primas von P. und Litauen, der Erzbischof von Gnesen, als Reichsverweser fungierte. Der gewöhnliche Wahlort war auf einem freien, mit Graben und Wall umgebenen Feld bei dem Dorf Wola, unweit Warschau; an der Wahl selbst nahmen auch die Abgeordneten der Städte Krakau, Posen, Wilna, Lemberg, Warschau, Danzig und Thorn teil. Der gewählte König mußte eine Wahlkapitulation (Pacta conventa) beschwören, welche die königliche Macht außerordentlich beschränkte; sodann wurde er in der Kathedrale zu Krakau vom Erzbischof von Gnesen gekrönt. Von höchst nachteiligem Einfluß waren die sogen. Konföderationen. Weiteres s. unten, Geschichte. Das Wappen des polnischen Reiches war ein quadrierter Schild, das erste und vierte Quartier mit dem silbernen, goldbewehrten und gekrönten polnischen Adler im roten Felde, das zweite und dritte mit einem silbernen schwertschwingenden Reiter mit blauem Schilde, darin ein goldenes Patriarchenkreuz auf einem silbernen rennenden Pferd mit goldenen Hufen und blauer Decke im roten Felde. Der Herzschild enthielt das jeweilige Familienwappen des Königs.

Nachdem 1795 mit der dritten Teilung das polnische Reich aufgehört hatte zu existieren und mit ihm der Name »Königreich Polen«, wurde derselbe 1815 zufolge den Beschlüssen des Wiener Kongresses wieder eingeführt als Bezeichnung von Russisch-Polen. Dieses sogen. Königreich Polen (auch Kongreß-Polen genannt) grenzt im N. an die Provinzen Ost- und Weitpreußen und das russische Gouvernement Kowno, im O. an die Gouvernements Wilna, Grodno und Wolynien, im S. an das österreichische Kronland Galizien, im W. an die preußischen Provinzen Schlesien und Posen. Es wurde anfangs in acht Woiwodschaften, 1846 in fünf Gouvernements eingeteilt und hatte bis 1864 seine eigne Verwaltung, wurde aber dann infolge des polnischen Aufstandes von 1863 völlig mit dem russischen Reich verschmolzen, führt nunmehr die offizielle Bezeichnung WeichselgebietPrivisljanskij kraj«) und zerfällt jetzt in die zehn Weichselgouvernements: Kalisch, Kjelzy, Lomsha, Lublin, Petrokow, Plozk, Radom, Sjedlez, Suwalki und Warschau mit 84 Kreisen, die zusammen 127,319 qkm (2312 QM.) umfassen. Im südlichen Teil wird P. von den Ausläufern der Karpathen durchzogen und geht nach N. zu in eine weite, zum Teil sumpfige Ebene über, die von der Weichsel und ihren Nebenflüssen (Piliza, Bzura, Przemsza, Wieprz, Bug und Narew), von der Warthe und dem Niemen bewässert wird. Von dem Stromlauf der Weichsel entfallen 488 km auf P. Das Klima ist gemäßigt und wärmer als unter gleicher Breite in Rußland; die mittlere Jahrestemperatur Warschaus beträgt +7,4°. Die Bevölkerung (1897: 9,402,253 Seelen, 74,3 auf 1 qkm) besteht zum weitaus größten Teil aus Polen (6,755,503), ferner Juden (1,267,194), Russen (631,844), Deutschen (407,274) u. Litauern (305,322). Auf Ausländer entfallen 1,05 Proz. der Gesamtbevölkerung, darunter ca. 60,000 deutsche Kolonisten. Dem Glaubensbekenntnis nach zählt man 74,3 Proz. Römisch-Katholische, 7,1 Proz. Griechisch-Orthodoxe, 4,5 Proz. Protestanten und 14 Proz. Juden. Der Boden ist hauptsächlich Lehm- und Sandboden, in den Gouvernements Lublin, Radom, Warschau zum Teil Schwarzerde und im allgemeinen fruchtbar. Die Wälder bedecken 22,6 Proz. des Gesamtareals. Ackerbau und Landwirtschaft stehen im Vergleich zu Rußland auf hoher Stufe. Die Ernte ergab 1902: 554,467 Ton. Weizen, 1,913,100 T. Roggen, 917,600 T. Hafer, 483,400 T. Gerste, 166,600 T. Erbsen und 7,856,400 T. Kartoffeln. Daneben werden Raps, Hopfen, Zichorie, insbes. aber Zuckerrüben gebaut, deren Kultur einen wichtigen Zweig landwirtschaftlicher Tätigkeit bildet. Die Ernte lieferte 1902: 1,051,127 T. Rüben. Der Gemüsebau ist von geringer Bedeutung, wichtiger der Obstbau, der namentlich viel Kirschen liefert. Die Viehzucht ist gut entwickelt; man zählte 1902: 3,183,000 Rinder, 2,715,000 Schafe (darunter 1,537,000 feinwollige), 13,000 Ziegen, 1,413,000 Schweine und 1,385,000 Pferde. Die Pferdezucht wird in dem staatlichen Gestüt zu Janow und in zahlreichen Privatgestüten gepflegt, unter denen die Gestüte von Grabowski und des Grafen Krasinski Erwähnung verdienen. In den Gebieten an der deutschen Grenze blüht die Gänsezucht, die jährlich große Mengen Gänse zur Ausfuhr bringt. Hoch entwickelt ist in ganz P. die Bienenzucht. An Mineralschätzen gibt es wichtige Galmei- (Zink-) lager bei Olkusz, wo jährlich gegen 4000 Ton. Zinkerze verhüttet werden, Kohle (Dombrowabassin), Eisen, Salz, Schwefel, Marmor und zahlreiche Torflager. Die bearbeitende Industrie hat insbes. seit der 1851 erfolgten Aufhebung der Zollgrenze gegen Rußland einen kräftigen Aufschwung genommen, ist aber zu einem großen Teil das Werk ausländischen, namentlich deutschen Unternehmungsgeistes und Kapitals. Von besonderer Wichtigkeit sind die Zuckerfabrikation (1901: 51 Fabriken mit einer Erzeugung von etwa 115,000 Ton.), die Branntweinbrennerei (374 Betriebe) und die Bierbrauerei (268 Betriebe). Die Leinenindustrie ist hauptsächlich in Girardowo, die Baumwoll- und Tuchindustrie in Lodz und Umgebung konzentriert, während Warschau in fast allen Zweigen mit bedeutenden Anstalten vertreten ist. Näheres s. bei den genannten Städten und in den Artikeln über die einzelnen Gouvernements. – Obwohl P. seit 1864 seine Sonderstellung völlig verloren hat, ist die Landesverwaltung doch von der russischen wesentlich verschieden. Oberste [87] Behörde ist der Generalgouverneur in Warschau (bis 1875 Statthalter), dem die Gouverneure in den Gouvernements unterstehen. Die russische Selbstverwaltung fehlt. Die Städte werden von Präsidenten und Magistraten verwaltet, die aus ernannten Räten bestehen. Auf dem flachen Lande ruht die Gewalt bei den Kreischefs mit je zwei Gehilfen für Polizei- und Verwaltungssachen. Die Kreise zerfallen in Gemeinden, an deren Spitze ein gewählter Vorsteher (Wojt) steht. Schwurgerichte existieren nicht. Für das Zivilrecht gilt seit 1806 der Code Napoléon. Der Kalender ist der gregorianische. Vgl. Andree, P. in geographischer, geschichtlicher und kulturhistorischer Hinsicht (Leipz. 1831); Possart, Lukaszewicz und Mulkowski, Das Königreich P. und der Freistaat Krakau (Stuttg. 1840); Leublfing, Wanderungen im westlichen Rußland (Leipz. 1875); Janke, Skizzen aus dem europäischen Rußland, Heft 1 (2. Aufl., Berl. 1879); Simonenko, Vergleichende Statistik Polens (russ., Warsch. 1879); »Geographisches Wörterbuch des Königreichs P.« (poln., das. 1885); Janshul, Geschichtliche Skizze der Entwickelung der Industrie in P. (russ., 1887); G. Brandes, Polen (deutsch von Neustädter, Münch. 1898); die Schriften des Warschauer Statistischen Komitees.

Geschichte Polens.

(Hierzu die »Geschichtskarten von Polens«.)

Gründung des Reiches und Herrschaft der ersten Piasten.

Seit der Völkerwanderung siedelte zwischen Warthe, Weichsel und Netze das slawische Volk der Polen (Poljanen, Lechen). Keine Quelle berichtet über die Geschichte dieses Volkes bis auf Mscislaw (fälschlich Mieczyslaw genannt), angeblich der Nachkomme des Piast, der nach der Sage die Dynastie gründete. Er ward 962 vom deutschen Markgrafen Gero unterworfen; er ward Lehnsmann des Kaisers und nahm 966 das römisch-katholische Christentum an; 968 ward das erste, dem Magdeburger Sprengel angehörige Bistum P. gegründet. Sein Nachfolger Boleslaw I. Chrobry (der Tapfere, 992–1025) beseitigte seine Miterben, eroberte Pommern mit Danzig und riß beim Tode Boleslaws von Böhmen Krakau und Sandomir (Kleinpolen) sowie Schlesien an sich. Während er mit Kaiser Otto III., der das Erzstift Gnesen 1000 gründete, in gutem Einvernehmen gestanden, eroberte er nach dessen Tod 1002 die Oberlausitz und Meißen, 1003 Böhmen. Kaiser Heinrich II. mußte trotz mehrerer Feldzüge im Frieden von Bautzen 1018 seine Unabhängigkeit anerkennen. Böhmen konnte Boleslaw freilich nicht behaupten, und seine Kriegszüge gegen die Russen verschafften ihm nur die sogen. czerwenischen Städte (Rotrußland). Gegen Ende seines Lebens nahm er den Königstitel an.

Seinem Sohn und Nachfolger Mscislaw (Misiko) II. (1025–34), der seinen Bruder Bezprim vertrieb, entrissen die Dänen Pommern, die Ungarn die Slowakei, die Russen die czerwenischen Städte. Mscislaw unternahm verwüstende Heerzüge bis vor Magdeburg, mußte aber nach einem erbitterten, schwierigen Krieg gegen Kaiser Konrad II. die Lausitzen und Schlesien wieder an Deutschland abtreten und P. seinem Bruder überlassen, der als »Herzog« dem Kaiser Gehorsam versprach. Nach Bezprims Ermordung (1032) ward er von Konrad II. auf dem Hoftag zu Merseburg (7. Juli 1032) wieder als Herrscher Polens eingesetzt. Für seinen unmündigen Sohn Kasimir I. (1034–58) regierte dessen Mutter Richeza, eine Tochter des Pfalzgrafen bei Rhein, erregte aber durch Begünstigung der Deutschen einen Aufstand der Szlachta, die den jungen König vertrieb. Doch kehrte Kasi mir mit Hilfe Heinrichs III. auf den polnischen Thron zurück. Auch Schlesien gewann er zum Teil zurück. Durch Unterdrückung des Heidentums erlangte er die Gunst des Klerus und hinterließ die Herrschaft seinem ältesten Sohn, Boleslaw II. Smialy (dem Kühnen, 1058–81), so gefestigt, daß derselbe am Weihnachtsfest 1076 sich die Königskrone aussetzen konnte. Als er aber den Bischof Stanislaw von Krakau in der Kirche im Streit erschlug, mußte er P. verlassen und starb in Ungarn.

Sein Bruder und Nachfolger Wladislaw I. Hermann (1081–1102) gab den Königstitel wieder auf. Er wollte das Netzeland den Pommern entreißen, wurde aber daran durch den Aufstand seines natürlichen Sohnes Zbygniew gehindert, dem sich später auch sein legitimer Sohn Boleslaw III. Krzywousty (Schiefmaul) anschloß, die beide schon bei Lebzeiten des Vaters große Teile des Reiches in Besitz nahmen. Nach Wladislaws Tod (1102) gerieten die Brüder bald in Streit. Zbygniew unterlag, behielt bloß Masowien als Vasallenherzog und wurde, als er seine Feindseligkeiten fortsetzte, auf Boleslaws Befehl geblendet. Boleslaw kämpfte mit Pommern, Mähren und Rußland, auch mit Kaiser Heinrich V., und eroberte Pommern, für das er aber 1135 in Merseburg vor Kaiser Lothar die deutsche Oberlehnshoheit anerkennen und einen zwölfjährigen Tribut zahlen mußte. Bei seinem Tode (1139) erhielt der älteste Sohn, Wladislaw II., Krakau, Schlesien und die Oberhoheit über die Brüder, Boleslaw IV. Kendzierzawy (der Kraushaarige) Masowien und Kujavien, Mieczyslaw Stary Guesen und Pommern, Heinrich Sandomir.

Zersplitterung und Neubegründung des Reiches.

Wladislaw II., der seine Brüder zu unterdrücken suchte, wurde von Boleslaw IV. nach Deutschland vertrieben. Auf seinen Antrieb drang Kaiser Friedrich I. in P. bis Posen siegreich vor und zwang Boleslaw zur Anerkennung der deutschen Oberhoheit. Das Prinzipat behauptete Bol est aw bis zu seinem Tode (1173), worauf es an Mieczyslaw Stary überging, dem es von Kasimir II. Sprawiedliwy (dem Gerechten), dem fünften Sohn Boleslaws III., 1177 entrissen wurde. Als Kasimir 1194 starb, war das Prinzipat zwischen dessen Sohn Leszek Bialy (dem Weißen) und Mieczyslaw (gest. 1202) streitig, und dessen Sohn Wladislaw Laskonogi (Dünnbein) wurde von seinem Neffen Wladislaw Odonicz sogar aus seinem Erbland Großpolen verdrängt und starb 1231 im Exil. Während dieser Zwistigkeiten verlor P. Pommern; Schlesien wurde durch deutsche Einwanderung germanisiert; Herzog Konrad von Masowien mußte 1230 den Deutschen Orden zur Bekämpfung der heidnischen Preußen und Litauer einladen und die Landschaften Kulm und Löbau ihm überlassen. So entstand zwischen P. und dem Baltischen Meer ein Staat, der nach und nach in nationalen Gegensatz zu P. trat. Das geschwächte und zersplitterte P. würde 1240, als die Mongolen in P. einbrachen, wie Rußland, denselben unterworfen worden sein, wenn sie nicht nach der Schlacht bei Liegnitz (9. April 1241) sich nach Süden gewendet hätten.

Die Entvölkerung nach den vielen Kriegen beförderte im 13. Jahrh. die Einwanderung der Deutschen, die sich gegen Verbürgung ihrer persönlichen Freiheit, des Erbrechts an Grund und Boden und der Steuerfreiheit in den ersten Jahren der Ansiedelung auf urbar[88] zu machenden Strecken niederließen und deutsches Recht und heimische Gemeindeverfassung mitbrachten. Fürsten, Klerus und Adel begünstigten die Einwanderung, weil aus den Dörfern sich Städte mit Magdeburger Recht entwickelten und Handel und Gewerbe förderten. Auch die polnischen Städte suchten deutsche Einwohner heranzuziehen und durch das deutsche Stadtrecht größere Selbständigkeit zu gewinnen. Der Klerus, der sich vielfach aus Deutschland ergänzte, erwarb wie der Adel die weitgehendsten Vorrechte. Die Macht der gegen Ende des 13. Jahrh. zersplitterten Teilfürstentümer sank zu einem Schatten herab. Das Prinzipat war kaum dem Namen nach erhalten und kam den Fürsten von Krakau zu, Boleslaw Wstydliwy (dem Keuschen, 1242–79) und Leszek Czarny (dem Schwarzen, 1279–88). Auf letztern folgte Herzog Heinrich IV. von Breslau (1288–1290), ein deutscher Reichsfürst, so daß P. wie Schlesien in den Verband des Deutschen Reiches übergehen zu sollen schien. Kleinpolen unterwarf sich 1292 dem König Wenzel von Böhmen, und nach der Ermordung Przemyslaws II. (1296), der sich vom Papste die Königskrone verleihen ließ, auch Großpolen.

Da aber mit Wenzels Sohn, Wenzel III., 1306 die Przemysliden ausstarben, faßte ein Piast, Wladislaw Lokietek (Ellenlang, 1306–33), in Krakau wieder Fuß und eroberte Masowien, Kujavien sowie die Herzogtümer Lentschiza und Dobrzyn. Pomerellen fiel jedoch an den Deutschen Orden. 1320 setzte er sich mit Zustimmung des Papstes in Krakau als Wladislaw I. die Königskrone auf und vererbte sie auf seinen Sohn Kasimir I. (1333–70) d. Gr., der im Frieden von Wysegrad 1335 Schlesien als böhmisches Lehen anerkannte und dem Orden 1343 im Frieden von Kalisch den Besitz von Pomerellen, Kulm und Michelau überließ. Er eroberte aber dafür im Osten die russischen Fürstentümer Halicz und Wladimir. Die deutsche Einwanderung beförderte er, verbot aber den Deutschen, sich an deutsche Oberhöfe zu wenden. Kasimir ließ ein allgemeines Gesetzbuch (das sogen. Statut von Wislica von 1368) für ganz P. ausarbeiten. Er besserte dadurch die Lage der niedern Stände, daher »Bauernkönig« genannt, stiftete die Universität Krakau (1364), gab strenge Steuerverordnungen und regelte den Salinenbetrieb von Wieliczka und Bochnia.

Da Kasimir keine Söhne hinterließ, ging die Krone auf den schon 1355 von den Ständen bestätigten Sohn von Kasimirs Schwester Elisabeth, Ludwig von Anjou (1370–82), König von Ungarn, über, dessen Vormund erst seine Mutter Elisabeth, dann Herzog Wladislaw von Oppeln war. Ludwig wollte seiner Tochter Hedwig den Thron sichern und verlieh 1374 dem Adel für seine Zustimmung Steuerfreiheit, außer einem Grundzins von zwei Groschen für die Hufe (Königssteuer). Nach Ludwigs Tod war der Adel gegen die weitere Personalunion mit Ungarn. Hedwig wurde 13. Okt. 1384 als »König« von P. gekrönt und gezwungen, den Großfürsten von Litauen, Jagello, den Stammvater der Jagellonen, zu heiraten, der dafür zum Christentum übertrat und 4. März 1386 als Wladislaw II. zu Krakau gekrönt wurde.

Höchste Machtentwickelung Polens unter den Jagellonen (1386–1572).

Die Einführung des Christentums in Litauen und die Vereinigung dieses Landes nebst dessen russischen Fürstentümern mit P. änderten die ganze osteuropäische Geschichte. Nach heftigen Familienkämpfen ward ein Vetter Jagellos, Witold, in Wilna unter der Oberhoheit Polens als Großfürst eingesetzt. Die Verbrüderung des polnischen und litauischen Adels zu Horodlo (1413) verstärkte die Macht Polens. Rotrußland wurde 1387 definitiv P. einverleibt, Podolien 1431. P. erlangte durch die Vereinigung mit Litauen das Übergewicht über den Deutschen Orden. 1410 kam es wegen Samogitien zu einem Kriege mit dem Orden, der bei Tannenberg (15. Juli) fast vernichtet wurde. Er trat im ersten Thorner Frieden (1. Febr. 1411) Samogitien ab, behauptete aber bis zum Frieden von Brzesc (1435) sein Gebiet.

Im Innern gewann Jagello den Adel für das Erbrecht seiner Dynastie durch die Konstitution von Krakau 1433. Er gestand das Erfordernis des Provinzialindigenats für alle Ämter zu, ebenso Schadenersatz bei Kriegen im Inland und Löhnung im Ausland, ferner das Steuerbewilligungsrecht des Adels, das Verbot der Konfiskationen ohne richterliche Erkenntnis, endlich, daß kein Edelmann außer ertappten Verbrechern arretiert werden dürfe. Hierdurch kam der Schwerpunkt der Staatsgewalt in die Hand des Adels und die Ausübung derselben an den Reichstag, dessen Kern die Baronie bildete: die vornehmsten Hofbeamten, die Woiwoden und Kastellane der Landschaften und die Bischöfe. Diesen schlossen sich die Vertreter des Adels an. Selten nahmen auch Abgeordnete aus einigen Hauptstädten am Reichstag teil. Die zum Teil deutschen Städte wurden vom Adel möglichst zurückgedrängt. Die Bauern waren hörig und leibeigen.

Für seinen zehnjährigen Sohn Wladislaw III. (1434–44) regierte bis 1439 der Bischof von Krakau, Zbygniew Olesnicki. Wladislaw, den der Papst 1440 zum König von Ungarn machte, verlor bei Warna 10. Nov. 1444 gegen die Türken Sieg und Leben. Ihm folgte sein jüngerer Bruder, Kasimir IV. (1444–92), bisher Großfürst von Litauen. Demselben boten 1453 der Landadel und die Städte des Ordensstaates unter Vorbehalt einer gewissen Autonomie die Herrschaft an. Erst nach längern Kriegen erwarb Kasimir im zweiten Thorner Frieden (19. Okt. 1466) Westpreußen nebst Ermeland und damit den Zugang zum Meer, während Ostpreußen polnisches Lehen wurde. Während der Minderjährigkeit Wladislaws III. hatte der Adel Domänen und Privilegien an sich gerissen. Seit 1453 zerfiel der Reichstag (Sejm walny) in die Magnatur- (Senat) und Ritterkammer. Zum Erscheinen in letzterer waren seit 1468 nur je zwei Landboten aus jeder Landschaft verpflichtet, während auch die übrigen Adligen teilnehmen konnten. In die »Landbotenstube« fiel allmählich der Schwerpunkt der Gesetzgebung.

Nach Kasimir folgten seine Söhne Johann I. Albrecht (1492–1501), Alexander (1501–06) und Siegmund I. (1506–48). Die königliche Gewalt war inzwischen dadurch vermindert, daß 1496 die Entscheidung über Krieg und Frieden dem Reichstag überlassen und die Verfügung über die Domänen der Krone entzogen wurde. Siegmund siegte in einem Krieg mit Rußland bei Orsza (1514) und über die Tataren bei Wisniowietz (1512). Als der Hochmeister Albrecht von Brandenburg sich der Lehnshoheit Polens zu entziehen suchte, wurde er im Frieden von Krakau 1525 als weltlicher Herzog von Preußen, aber auch als polnischer Vasall anerkannt und mußte den Lehnseid leisten.

Siegmunds I. Sohn Siegmund II. August (August I., 1548–72) brachte eine Vereinigung Litauens, Preußens, der russischen Provinzen Wolynien, [89] Podolien, Podlachien und Ukraine mit P. zu einem Staatskörper in der sogen. Lubliner Union (1569) zustande. Durch glückliche Kriege gegen die Walachei und gegen Rußland brachte er auch Livland an sich. P. umfaßte damals von den Küsten des Baltischen Meeres im N. bis Bender am Dnjestr im S., von der Mündung der Netze im W. bis zur Desna im O. mehr als 940,000 qkm (17,000 QM.). Im Innern wurde der Adel immer einflußreicher und auffässiger. Dazu kam die religiöse Spaltung. Die Reformation fand auch in P. zahlreiche Anhänger, so daß fünf Sechstel aller Einwohner sich der neuen Lehre anschlossen. Selbst der König und der Primas Jakob Uchanski näherten sich den Anhängern der Reformation. Aber der Jesuitenorden überzeugte bald den allein maßgebenden Adel, daß der Bestand der Adelsrepublik mit einer wohlgegliederten Hierarchie verträglicher sei als mit der Gleichheit aller Gläubigen unter den Ketzern. Zudem schwächte sich die Reformation durch das Aufkommen von Sekten, besonders der Sozinianer.

Verfall des Reiches unter der Wahlmonarchie.

Nach dem Tode Siegmunds II., des letzten Jagellonen, 1572, bekam das bisher nur theoretische Recht der Königswahl praktische Bedeutung. Vor der Wahl vereinbarte der »Konvokationsreichstag« die Pacta conventa, nach denen jeder künftige König vor seinem Regierungsantritt schwören sollte, die Privilegien des Reichstags und des Adels zu erhalten; bei Lebzeiten eines Königs sollte niemals ein Nachfolger gewählt, sondern erst nach seinem Tod ein Konvokationsreichstag, dem jeder polnische Edelmann beiwohnen durfte, zur Wahl berufen werden; ein Religionsartikel (Pax dissidentium) sicherte allen Edelleuten ohne Rücksicht auf die Konfession völlige Gleichheit zu. Damit war die polnische Adelsrepublik mit einer gewählten monarchischen Spitze vollendet und bei jeder Königswahl den Ränken des Adels und den Umtrieben auswärtiger Mächte ausgesetzt. Der Adel gewöhnte sich, sein Wahlrecht pekuniär auszubeuten. Gleich der erste Wahlkönig, Heinrich von Anjou (1573–74, s. Heinrich 30), mußte außer den Pacta conventa sich verpflichten. auf Kosten Frankreichs eine Flotte herzustellen und französische Hilfstruppen und Hilfsgelder zu stellen, so daß er vier Monate nach seiner Krönung enttäuscht P. heimlich verließ.

Nachdem Heinrich 1575 abgesetzt worden, wählte der Reichstag Stephan Báthori (1575–86) von Siebenbürgen zum König, den Gemahl der Schwester des letzten Jagellonen, Anna. Im Kriege mit Rußland eroberte er 1579 Polozk und erwarb 1582 das von den Russen besetzte Dorpat. Aber Stephans und seines Günstlings Johann Zamojski Bestreben, das Königtum selbständiger zu machen, scheiterte gänzlich. Die katholische Restauration, durch die Jesuiten gefördert, griff im Adel immer mehr um sich, und die Gleichberechtigung der Protestanten hörte auf. Infolgedessen wanderte die deutsche Bevölkerung der Städte allmählich aus; an ihre Stelle traten die rechtlosen Juden, und das selbständige bürgerliche Element verschwand. Durch den Papst und die Jesuiten gelangte Siegmund III., Sohn des Königs Johann von Schweden, der mütterlicherseits von den Jagellonen stammte, zum Thron (1586). Eine gemäßigte Partei unter Zborowski wählte 1587 den Erzherzog Maximilian von Österreich zum König. Ein Bürgerkrieg brach aus, der aber 1588 durch die Gefangennahme Maximilians bei Pitschen beendet wurde.

Siegmund III. (1587–1632), der erste Wasa auf dem polnischen Thron, ein Freund der Jesuiten, beraubte die Dissidenten ihrer staatsbürgerlichen Rechte. Die gehoffte Vereinigung Schwedens mit P. erfolgte nicht, indem Siegmund nach seines Vaters Johann Tod (1592) wegen seiner Neigung zu den Jesuiten vom schwedischen Thron ausgeschlossen wurde und sein Versuch, ihn zu erobern, scheiterte (1598). Um das moskowitische Reich für die römische Kirche zu gewinnen, nahm sich Siegmund des falschen Demetrius (s. Demetrius 5) an und führte einen verheerenden Krieg, der im Frieden von Dewulina (1618) P. nur den zeitweiligen Besitz von Smolensk, Severien und Tschernigow verschaffte. Ein Krieg mit Gustav Adolf von Schweden, den Siegmund nicht als König von Schweden anerkennen wollte, kostete P. Livland und einige Plätze in Preußen. Siegmund starb 1632, und nach einem stürmischen Interregnum wurde sein Sohn Wladislaw IV. (1632–48) gewählt. Dieser gewann von Schweden im Frieden von Stumsdorf (1635) den von seinem Vater abgetretenen Teil Preußens zurück. Der Reichstag beschloß, daß der König nur eine Ehrenwache von 1200 Mann halten dürfe, wodurch derselbe ganz von den Aufgeboten und dem guten Willen des Adels abhängig wurde. Ihm folgte nach heftigen Wahlkämpfen sein Bruder Johann Kasimir (1648 bis 1669), ehemals Jesuit und Kardinal. Unter ihm brach ein gefährlicher Aufstand der vom Adel und den Jesuiten bedrückten Kosaken und Tataren aus. Der Führer der erstern, Chmelnizky, veranlaßte die Kosaken, sich Rußland zu unterwerfen (1654). Um dieselbe Zeit protestierte Johann Kasimir gegen die Thronbesteigung des Pfälzers Karl Gustav in Schweden, der P. den Krieg erklärte und 1655 Groß- und Kleinpolen mit Warschau und Krakau eroberte. Und nach der Niederlage bei Warschau (28.–30. Juli 1656) gegen das schwedisch-brandenburgische Heer retteten nur die Kriegserklärung Dänemarks an Schweden und die Parteinahme Österreichs für P. dasselbe vor der Gefahr der Teilung, die Karl Gustav plante. Aber im Frieden von Oliva (3. Mai 1660) mußte es auf die Lehnshoheit über Ostpreußen und auf Livland verzichten, im Frieden von Kardis (21. Juni 1661) gab auch Rußland Livland auf und gewann im Waffenstillstand von Andrussow (20. Jan. 1667) von P. Smolensk, Siewierz und Tschernigow.

Noch schlimmer war die Lage im Innern. Da das Liberum veto (s. d.), wonach der Reichstag auf den Einspruch eines Landboten vertagt und seine Beschlüsse für null und nichtig angesehen wurden, seit 1652, da der Landbote Sicinski durch sein Veto die Zerreißung des Reichstags bewirkte, immer häufiger vorkam, geriet die ganze Tätigkeit des Staates ins Stocken. Nicht weniger schädlich war das Recht des Adels, eine »Konföderation«, einen Bund zu bilden, um den Willen einer Partei mit Gewalt durchzusetzen. So erhob sich 1666 der Kronfeldherr Georg Lubomirski gegen die Königin, eine Französin, welche die Thronfolge des Prinzen Condé begünstigte. Er siegte bei Montwy, und im Frieden von Lengowice mußte die Königin auf ihren Plan verzichten. Als Johann Kasimir 1669 sich in ein französisches Kloster zurückzog, kam es zum offenen Bürgerkrieg zwischen den Anhängern des Prinzen von Condé und der Konföderation von Golub, die den Polen Michael Wisniowiecki (1669–73) auf den Thron erhob. Währenddessen mußte P. den Türken trotz der glänzenden Kriegstaten des Kronfeldherrn Johann Sobieski im Frieden von Budziak (18. Sept. 1672) Kamenez-Podolsk abtreten. Johann Sobieski (1674–96), nach Michaels Tod[90] zum König gewählt, vermochte trotz seiner Siege bei Lemberg (1675) und vor Wien (1683) den Türken Podolien nicht zu entreißen. Die Nachfolge seines Sohnes Jakob vereitelte seine Gemahlin Maria Kasimira, die für die Wahl des Prinzen Conti intrigierte. Österreich setzte nach einem wüsten Interregnum die Wahl des Kurfürsten Friedrich August von Sachsen, der deswegen zum Katholizismus übertrat, durch (1697).

Die Herrschaft der sächsischen Könige.

Die Herrschaft Augusts II. (1697–1733, s. August 7) war für P. insofern vorteilhaft, als Österreich ihm das verpfändete Wieliczka zurückgab und ihm im Frieden von Karlowitz (1699) von den Türken die Rückgabe Podoliens erwirkte. Dagegen verwickelte August durch seinen Bund mit Rußland und Dänemark P. in den Nordischen Krieg, in dem Karl XII. von Schweden nach seinem Siege bei Narwa in P. einfiel, Augusts II. Truppen bei Kliszow schlug und 1703 Warschau einnahm. Nachdem Karl bis Krakau vorgedrungen, ließ er 12. Juli 1704 von der französischen Partei des Adels Stanislaus Leszczynski zum König wählen und zwang im Frieden von Altranstädt (1706) August II. zum Verzicht auf P. Aber nach Karls XII. Niederlage bei Poltawa (1709) ward August unter dem Schutz des Zaren Peter d. Gr. wieder eingesetzt. Die ihm feindliche Partei schloß gegen ihn 1715 die Konföderation von Tarnogrod. Erst der »stumme Reichstag« von 1717 machte dem Bürgerkrieg ein Ende. Als August II. 1733 starb und die Mehrheit des Adels den von Frankreich empfohlenen Stanislaus Leszczynski zum König wählte, erzwangen russische Truppen die Wahl Augusts III. (1733–63), der durch die Anerkennung der Pragmatischen Sanktion und durch die Preisgebung Kurlands an den russischen Günstling Biron sich den Schutz Österreichs und Rußlands erworben hatte. Hieraus entstand der 1733–35 dauernde Polnische Erbfolgekrieg (s. d.).

Die Ohnmacht Polens zeigte sich besonders im Siebenjährigen Kriege, wo es seine Neutralität nicht schützen konnte. Die Familie der Czartoryiskis hoffte, im Einvernehmen mit Rußland eine erbliche starke Monarchie errichten zu können, und ebenso, daß, als August III. 5. Okt. 1763 starb, eins ihrer Mitglieder mit russischer Hilfe zum König gewählt würde. Aber Rußland schloß während des Konvokationsreichstags 1764 mit Preußen einen Vertrag, jeden Versuch, die Krone erblich zu machen, mit Gewalt zurückzuweisen, dagegen für die Gleichstellung der Dissidenten mit den Katholiken einzutreten. In derselben Absicht, eine Verfassungsreform zu vereiteln, betrieb Rußland die Wahl des Günstlings der Kaiserin Katharina, Stanislaus Poniatowski, der unter dem Druck der fremden Truppen 7. Sept. 1764 auch gewählt wurde.

Der Untergang des Reiches durch die Teilungen.

Die Russen waren jetzt Herren in P. Als im Reichstag der Antrag auf Abzug der fremden Truppen und auf Bestrafung der Dissidenten, weil sie das Ausland zu ihrem Schutz angerufen hatten, gestellt wurde, rückten 40,000 Russen vor Warschau und bewirkten, daß die Antragsteller nach Sibirien geschickt, dagegen die Gleichstellung der Dissidenten und namentlich das Liberum veto als unantastbare Grundlage der Verfassung festgesetzt wurden. Auf Anstiften Österreichs und Frankreichs erhob sich zur Verteidigung der Herrschaft des katholischen Glaubens und zur Erhaltung der Verfassung 29. Febr. 1768 die Konföderation zu Bar, unter Führung des Marschalls Michael Krasinski. Auf Verlangen des russischen Gesandten Repnin rief der polnische Senat die Hilfe der Russen an, die sofort mit überlegenen Truppenmassen über die Konföderierten herfielen. Trotz der Unterstützung durch die Türken wurden die Konföderierten vernichtet. Um P. nicht ganz in die Hände der Russen fallen zu lassen, boten Österreich und Preußen eine Friedensvermittelung an; eine Teilung Polens erschien als das einfachste Auskunftsmittel, um die russische Eroberungsgier zu befriedigen, ohne die Interessen der deutschen Mächte zu verletzen und so einen allgemeinen Krieg zu verhüten. Nachdem Österreich schon 1770 sich die 1412 von Ungarn an P. verpfändete Zips angeeignet hatte, kam der erste Teilungsvertrag 17. Febr. 1772 zunächst zwischen Rußland und Preußen zustande; am 4. März trat Österreich demselben bei, und 5. Aug. 1772 wurde der definitive Vertrag zu Petersburg unterzeichnet. P. verlor an Österreich Ostgalizien und Wladimir, an Rußland früher litauisches Gebiet, an Preußen Westpreußen (ohne Danzig und Thorn) und den Netzedistrikt und wurde um 5 Mill. Einw. verkleinert. Der Reichstag mußte im April 1773 die Abtretungen bestätigen.

Nun wurde ernstlich eine Verfassungsreform versucht. Man entfernte den bestechlichen Senat und ersetzte ihn durch einen permanenten Regierungsausschuß, führte ein neues, den modernen Verhältnissen angepaßtes Gesetzbuch ein und brachte durch zweckmäßige Besteuerung die Einkünfte des verkleinerten Landes auf die frühere Höhe. 1788 wurde ein konstituierender Reichstag berufen, der endlich die Konstitution von 1791 zustande brachte, die 5. Mai 1791 beschworen und 14. Febr. 1792 von den Provinzialversammlungen genehmigt wurde. Die Leibeigenschaft wurde allerdings nicht abgeschafft, wohl aber das Liberum veto und die Konföderationen; in beiden Vertretungskörpern wurde das Mehrheitsprinzip eingeführt und die Erblichkeit der Krone im sächsischen Kurfürstenhaus beschlossen. Preußen, die Seemächte und Schweden waren anfangs für die neue Verfassung. Aber als Rußland durch den Frieden mit Schweden (1790) freie Hand zum Eingreifen in P. gewann, schlossen seine Anhänger unter Führung Xaver Branickis und Felix Potockis gegen die neue Verfassung die Konföderation von Targowice (14. Mai 1792) und riefen russischen Schutz an. Vergeblich erfocht die polnische Armee unter Kosciuszko bei Dubienka (17. Juli) einen ruhmvollen Sieg; der König Stanislaus Poniatowski selbst trat 23. Juli 1792 zur Konföderation über. Damit Rußland sich nicht ganz Polens bemächtige, rückten Anfang 1793 auch preußische Truppen in P. ein und besetzten Großpolen sowie Danzig und Thorn, während Rußland sich die östlichen Provinzen (250,000 qkm) aneignete. Der am 17. Juli 1793 nach Grodno berufene Reichstag mußte dieser zweiten Teilung Polens zustimmen.

Die Häupter der nationalen Partei, Kosciuszko, H. Kolontaj, Ignaz Potocki u. a., bereiteten von Dresden aus einen Aufstand vor, der, als der russische General Igelström die Entwaffnung der polnischen Armee befahl, im März 1794 zum Ausbruch kam. Kosciuszko übernahm als Diktator die Regierung Polens, bewaffnete das Volk, dem die Aufhebung der Leibeigenschaft versprochen wurde, siegte 4. April bei Raclawice und befreite Warschau und Wilna von den Russen. Aber nun brach unter den Polen selbst ein Zwist aus zwischen den Radikalen unter Kolontaj und der Adelspartei, welche die Aufhebung der Leibeigenschaft verhinderte. Infolgedessen versagte der Bauernstand,[91] und Kosciuszko konnte nicht mehr der Übermacht der Preußen und Russen, denen sich schließlich auch die Österreicher zugesellten, widerstehen. Bei Szczekociny wurde er 6. Juni von den Preußen, bei Zajonczek 8. Juni von den Russen geschlagen; Krakau fiel in preußische, Wilna 12. Aug. in russische Hände. In der Schlacht bei Maciejowice (10. Okt.) gegen den russischen General Fersen wurde Kosciuszko der Sieg durch das rechtzeitige Erscheinen Suworows entrissen und Kosciuszko selbst gefangen genommen. Während die Preußen Warschau links der Weichsel belagerten, erstürmte Suworow 4. Nov. Praga auf dem rechten Ufer und hielt nach einem furchtbaren Gemetzel unter der Bevölkerung 8. Nov. seinen Einzug in Warschau. Der Rest der polnischen Armee streckte 10. Nov. bei Radozyce die Waffen. Die Mächte beschlossen 24. Okt. 1795 eine dritte Teilung, die im Januar 1796 ausgeführt wurde. Preußen erhielt Podlachien und Masovien mit Warschau (38,500 qkm), Österreich Kleinpolen mit Krakau (46,000 qkm), Rußland Litauen (120,000 qkm). Der König Stanislaus August lebte bis zu seinem Tode (12. Febr. 1798) in Grodno. Das polnische Reich hatte aufgehört zu bestehen.

Wiederherstellungsversuche und Aufstände.

Die Führer der Erhebung von 1794 waren meist nach Frankreich geflohen, und zahlreiche Polen bildeten 1797 unter Dombrowskis Führung die polnische Legion, die in den Diensten der Zisalpinischen Republik gegen die Österreicher kämpfte; im Kriege der zweiten Koalition 1798–1801 leistete eine zweite Legion unter Kniaziewicz den Franzosen nützliche Dienste. Dennoch wurden die Interessen Polens von Frankreich rücksichtslos preisgegeben und ein Teil der Legionen schließlich nach Haïti geschickt, wo sie sich in der Bekämpfung des Negeraufstandes aufrieben. Während die preußische Herrschaft trotz verschiedener Mißgriffe sich als segensreich gezeigt hatte, wurde 1806 nach dem Sturz Preußens trotzdem Napoleon bei seinem Einzug in Warschau (19. Dez.) als Befreier begrüßt. Nach dem Frieden von Tilsit wurde 21. Juli 1807 aus dem Preußen abgenommenen Teil Polens ein Großherzogtum Warschau unter dem König von Sachsen gebildet und 1809 durch das von Österreich abgetretene Westgalizien mit Krakau vergrößert. Doch konnte das neue Staatswesen nicht gedeihen und brach mit der Vernichtung der »großen« Armee 1812 wieder zusammen.

Auf dem Wiener Kongreß 1815 wurde eine vierte Teilung vorgenommen, indem Preußen Westpreußen und Posen, Österreich Galizien außer Krakau, das als Freistaat belassen wurde, Rußland den Rest Polens, das Königreich P. oder Kongreß-Polen, erhielt. Diesem gab Kaiser Alexander 15. Dez. 1815 eine der französischen Charte von 1814 nachgebildete höchst freisinnige Verfassung, die unter der Statthalterschaft eines russischen Vizekönigs, des Großfürsten Konstantin, ein selbständiges nationales Leben ermöglichte, den revolutionären Geist aber nicht unterdrückte. Die Magnaten, die »Weißen«, strebten nach einem großen polnischen Reich, der niedere Adel und die wenigen bürgerlichen Elemente, die »Roten«, erfüllten sich mit radikalen Doktrinen. Auch die polnischen Emigranten veranlaßten schon seit dem Tod Alexanders I. (1825) Empörungsversuche. Die Julirevolution von 1830 bewirkte einen allgemeinen Aufstand. Am 29. Nov. 1830 überfiel eine Rotte junger Militärs das Schloß des Großfürsten Konstantin, der nur mit knapper Not dem Meuchelmord entging, während einige seiner Generale niedergestochen wurden. Die völlig überraschten russischen Truppen verließen das Land, während die polnische Aristokratie unter Lubecki und Fürst Czartoryiski, nachdem sie sich durch einige Vertreter der Roten, Ostrowski und Lelewel, verstärkt hatte, den General Joseph Chlopicki zum Diktator ausrief, aber zunächst Verhandlungen mit dem Petersburger Hof begann. Der Zar Nikolaus forderte aber Unterwerfung auf Gnade und Ungnade, worauf der am 18. Jan. 1831 zusammengetretene Reichstag 25. Jan. das russische Kaiserhaus für abgesetzt erklärte und eine Nationalregierung unter dem Vorsitz des Fürsten Adam Czartoryiski einsetzte. Gegen die russische Armee unter Diebitsch errangen die Polen 14. Febr. unter Dwernicki bei Soczek und unter Skrzynecki bei Dobre einige Vorteile und siegten 19. Febr. bei Grochow; doch unterlagen sie bei letzterm Ort 25. Febr., und als sie nach den siegreichen Gefechten bei Wawre, Dembewilki, Iganie (10. April) und Boreml (16. April) Podolien und Wolynien aufwiegeln wollten, wurde General Dwernicki mit 25,000 Mann auf österreichisches Gebiet gedrängt und entwaffnet. Nach der Niederlage Skrzyneckis bei Ostrolenka (26. Mai) verzögerte nur der Ausbruch der Cholera im russischen Heer, der auch Diebitsch erlag (10. Juni), den Sieg der Russen. Der Aufstand in Litauen wurde 18. Juni niedergeschlagen, und der neue russische Oberbefehlshaber, Paskewitsch, zog vor Warschau, wo der Reichstag uneinig war und der Pöbel sich empörte. Warschau ergab sich 8. Sept. Am 18. Sept. trat General Ramorino mit 10,000 Mann auf österreichisches und 5. Okt. Rybinski mit 21,000 Mann auf preußisches Gebiet über; damit war die Revolution zu Ende. An Stelle der Verfassung von 1815 trat das »organische Statut« vom 26. Febr. 1832, die russische Gouvernementsverfassung, die alles nationale Leben unterdrückte.

Als die Emigranten 1836 aus Krakau vertrieben wurden, gingen sie nach Paris und Brüssel, auch im Ausland in zwei Parteien gespalten, die Weißen oder Aristokraten unter ihrem »König« Fürsten Adam Czartoryiski und die Roten oder Demokraten. Im Frühjahr 1846 bereitete man in Posen eine Erhebung vor, aber die preußische Regierung ließ die Rädelsführer, unter ihnen den Anführer Mieroslawski, verhaften (Polenprozeß 1847). In Galizien aber ermordeten die Bauern und die Ruthenen über 2000 Edelleute und Priester, die sie gegen die Regierung aufreizten. Die Folge war die Vereinigung des Freistaats Krakau mit Österreich. An den Februar- und Märzunruhen hatten polnische Emissäre überall Anteil, besonders in Berlin, wo die 1847 verurteilten Polen von der Menge befreit wurden. Mieroslawski brachte in Posen eine Erhebung zustande. General Willisen gestand den Polen durch die Konvention von Jaroslawiez (11. April) sogar eine »nationale Reorganisation« zu, die auf heftigen Einspruch der deutschen Bevölkerung in eine »Demarkation« der polnischen Kreise umgewandelt wurde. Als die Polen dennoch die Waffen erhoben, wurden sie im Mai 1848 besiegt und der Rest ihrer Truppen bei Bardo zur Kapitulation gezwungen. Seitdem ist Posen eine untrennbare Provinz Preußens. Der deutschfeindliche Einfluß der katholischen Geistlichkeit sowie die starke polnische Einwanderung aus Russisch-Polen bewogen die preußische Regierung 1885 zu zahlreichen Ausweisungen, zur Durchführung des deutschen Unterrichts und 1886 zu dem Entschluß, durch Ankauf polnischer Güter eine umfangreiche deutsche Kolonisation zu ermöglichen (s. Innere Kolonisation). Während die preußischen [92] Polen, begünstigt durch freie Presse und Vereinsrecht, namentlich durch den 1849 gegründeten Marcinkowski- und die Sokol- (Turn-) vereine einen bis dahin vermißten Mittelstand schufen und so für Verbreitung ihrer Nationalität erfolgreich wirkten, entstand erst 1894 der »Deutsche Ostmarken-Verein«, der die nach Caprivis Sturz energischere Regierung gegen die polnische Propaganda für Herstellung Polens unterstützt.

Weder in Galizien noch in Russisch-Polen war es 1848 zu Aufständen gekommen. Erst als Kaiser Alexander II. 1859 die Umwandlung der bäuerlichen Fronen in unablösbaren Erbzins anordnete und gleichzeitig die Einigung Italiens die nationalen Hoffnungen belebten, wurden die Polen unruhig. Alexander kam denselben weit entgegen, indem er durch den Marquis Wielopolski eine weitgehende Autonomie und besonders die Errichtung nationaler Lehr- und Bildungsanstalten versprach. Das Reformgesetz wurde 27. März 1861 veröffentlicht und Wielopolski mit seiner Durchführung betraut. Der hohe Adel bemächtigte sich nun der Verwaltung und besetzte alle Ämter mit seinen Anhängern. Damit war aber die demokratische Partei nicht einverstanden; sie hetzte zur Unzufriedenheit und zu Kundgebungen. Trotz Adressen und Straßenaufläufen, Mordanschlägen auf die Statthalter und Meuchelmorden ernannte Alexander II. im Juni 1862 seinen Bruder, den Großfürsten Konstantin, zum Statthalter. Aber eine geheime Nationalregierung, das Zentralkomitee, das durch Terrorismus und Meuchelmord sich Gehorsam verschaffte, machte den Ausbruch des Bürgerkrieges unvermeidlich. Beschleunigt wurde dieser durch die im Januar 1863 zur Beseitigung der Radikalen in den Städten befohlene Rekrutierung. Unter Führung von Langiewicz begann ein Bandenkrieg, in dem hier und dort vereinzelte russische Truppenabteilungen besiegt wurden, aber die Landbevölkerung sich der Insurrektion nicht allgemein anschloß. Die russische Regierung richtete anfangs nicht viel aus, bis Preußen seine Grenzen gemäß der Konvention vom 23. Febr. 1863 für die Insurgenten aufs strengste absperrte. Eine Intervention von Frankreich, England und Österreich (im April 1863) wies Gortschakow (13. Juli) energisch zurück. Noch 1863 wurde der Aufstand im wesentlichen unterdrückt. Am 31. Okt. d. J. wurde an Stelle Konstantins Graf Berg Statthalter. Er brach den letzten Widerstand, die Nationalregierung hörte im Februar 1864 auf. Zugleich trennte man die Bauern von der Schljachta, indem man ihnen zuerst in Litauen und Rotrußland, dann (2. März 1864) im Königreich unter Befreiung von Abgaben ihre Pachthöfe zu Eigentum gab, was freilich die Nationalregierung schon 22. Jan. 1863 getan hatte. Die russische Regierung übernahm die Entschädigung der Gutsbesitzer, von denen viele wegen Beteiligung am Aufstand ihr Land verloren, ins Innere Rußlands oder nach Sibirien gehen mußten. Den Polen wurde 22. Dez. 1865 verboten, in den neun »westrussischen« Gouvernements Landgüter zu kaufen. Die Russifikation erfolgte am härtesten in Litauen durch Michail Murawiew und in Rotrußland. In P. wurde zunächst das katholische Kirchenvermögen eingezogen und die Geistlichkeit von der Regierung besoldet. Am 1. Jan. 1867 wurde die polnische Postverwaltung mit der russischen vereinigt und das Königreich als »Weichselgebiet« in zehn Gouvernements geteilt, die gleich, denen Rußlands bureaukratisch verwaltet wurden. Über ihnen steht nicht eine polnische Behörde, sondern eine Abteilung des russischen Reichsrats (seit 1864) unter Vorsitz des Kaisers. Die Seele aller »Reformen« aber war Nikolai Miljutin, der dem Zaren in Sachen der Aufhebung der Leibeigenschaft Dienste geleistet hatte und als Volksfreund erschien. Er wurde zum Staatssekretär ernannt und arbeitete mit einem Komitee, in dem Fürst Gagarin den Vorsitz führte, einen Organisationsplan für P. aus. Sein Hauptmitarbeiter war der Slawophile Fürst Tscherkaski, der zum Komitee für die Bauernemanzipation gehört hatte. Nach den Edikten über die Agrarreform folgten fünf Edikte über die Organisation des öffentlichen Unterrichts im Weichselgebiet, die am 11. Sept. 1864 in Jugenheim von Alexander II. unterzeichnet wurden. Es wurden Elementarschulen, Mädchengymnasien und -Progymnasien, ein russisches Gymnasium und eine deutsch-evangelische Schule in Warschau gegründet, endlich Unterrichtsdirektionen für die einzelnen Landesteile eingesetzt, überall mit polnischer Unterrichts- und Geschäftssprache. Am 8. Nov. 1864 wurden die Mehrzahl der Klöster im Königreich aufgehoben, die mit ihnen verbundenen Pfarrkirchen vom Staate weitererhalten. Am 22. Mai 1867, nachdem Miljutin 1866 zurückgetreten, kündigte die Regierung das Konkordat von 1847 und stellte die polnische katholische Geistlichkeit unter eine katholische Oberbehörde in Petersburg. Der Verkehr mit auswärtigen Orden und dem Papst war untersagt. Am 8. Juli 1869 wurde die russische Unterrichtssprache in der Universität und allen Schulen des Königreichs eingeführt, zugleich die Finanzverwaltung in allen Teilen dem russischen Finanzministerium unterstellt. Endlich erfolgte die Einführung russischer Gerichtsformen und russischer Richter (1870). Nach Bergs Tode (1874) folgten Graf Kotzebue (bis 1880) und Albedynski (bis 1883) als Generalgouverneure. Sein Nachfolger Gurko verschärfte die Russifizierung nach der Entdeckung einer Verschwörung im Juli 1884, wo vier Beteiligte hingerichtet, gegen 200 nach Sibirien verschickt wurden. 1885 wurde der Sprachukas wegen der russischen Unterrichtssprache verschärft, nur der Religionsunterricht blieb polnisch. Nach dem Attentat vom 13. März 1887 auf Alexander III. besetzte der Zar im Einverständnis mit dem Papste die lange verwaisten Bistümer von Wilna und Lublin (1890). Vom Dezember 1894 bis Dezember 1896 war Graf Paul Schuwalow, dann bis 30. Nov. 1900, seinem Todestag, Fürst A. K. Imeretinsky Generalgouverneur, dem Generaladjutant Tschertkow im März 1901 folgte. Bei Gelegenheit der Aushebung der Reserven in dem japanischen Krieg (im November 1904) kam es zu einigen Krawallen in Warschau, die aber rasch unterdrückt wurden. 1905 wurde unter dem Generaladjutanten Skalon der Kriegszustand proklamiert. Denn auch hier bestehen Verbindungen mit der »Liga Narodowa«, die russische, österreichische und preußische Polen als eine rechtmäßig funktionierende oberste Gewalt Polens betrachten. Die Judenverfolgungen (Pogroms), z. B. 1. Juni in Bialystok, auch die Arbeiterunruhen haben aber mit der polnischen Sache keinen Zusammenhang, wie die Polen während der russischen Revolution, besonders auch in der Duma im Sommer 1906, eine gemäßigte Haltung zeigten, hauptsächlich die Autonomie, nicht die Lostrennung Polens von Rußland betonten.

Nur in Galizien behauptete sich das nationale Polentum, ja es gewann seit der Dezentralisation Österreichs durch die konstitutionelle Verfassung von 1861 neue Kraft. Die polnische Sprache wurde als amtliche Sprache, ein nationaler Landtag und eine nationale Verwaltung eingeführt und zwei polnische [93] Universitäten, eine Akademie und eine große Zahl von Mittel- und Volksschulen errichtet. Die Polen erlangten sogar im österreichischen Reichsrat einen überwiegenden Einfluß und verschafften Galizien außergewöhnliche Begünstigungen in bezug auf die Besteuerung, den Bau von Eisenbahnen u. dgl. Auch gestattete die Regierung den Polen die rücksichtslose Unterdrückung der Ruthenen und Deutschen. Das zeigte sich 1897 bei den gewaltsam beeinflußten Reichstagswahlen und der erfolgreichen Polonisierung der Schulen. Der großpolnische Gedanke wird hier am freiesten gepflegt, wie bei der Kosciuszko-Feier 1894 hervortrat. Trotz der bekannten parteiischen Regierung und der korrumpierten Beamtenschaft in Galizien, wird dieses Land als das Piemont des künftigen allpolnischen Staates bezeichnet. Es ist auch der Hauptstützpunkt der »Liga Narodowa«, der polnischen Nationalregierung, welche die Wiederherstellung Polens betreibt und den Skarb Narodowy (Nationalschatz) in Rapperswil in der Schweiz verwaltet. Neuerdings sucht ein Teil der Polenführer Anschluß an Rußland und den Panslawismus, um dadurch zur Herstellung Polens zu gelangen, so der Statthalter von Galizien, Graf Pininski, während der andre Teil, geführt vom ehemaligen Minister Badeni und Jaworski, am Dreibund festhält und den Anschluß an die »Moskowiter« perhorresziert.

Über die gegenwärtige Verbreitung der Polen in Rußland, Österreich und Preußen vgl. den besondern Artikel »Polen« (Volksstamm), S. 86.

[Literatur.] Vgl. Röpell, Geschichte Polens (bis 1300, Hamb. 1840), fortgesetzt von Caro (Bd. 2–5: 1300–1506, Gotha 1863–88); Bobrzynski, Dzieje Polski (Geschichte Polens, Warschau 1891, Bd. 1 in 4. Aufl., Bd. 2 in 2. Aufl.); Szujski, Dzieje Polski (Krakau 1896, 4 Bde.); Schiemann, Rußland, P. und Livland bis ins 17. Jahrhundert (Berl. 1886–89, 2 Bde.); M. Gumplowicz, Zur Geschichte Polens im Mittelalter (Innsbr. 1898); Ljubowicz, Geschichte der Reformation in P. (poln., Warschau 1883); Koniecki, Geschichte der Reformation in P. (3. Aufl., Lissa 1904); Dalton, Johannes a Lasco (Gotha 1881) und Lasciana nebst den ältesten evangelischen Synodalprotokollen Polens (Berl. 1898); Röpell, P. um die Mitte des 18. Jahrhunderts (Gotha 1876); Ssolowjew, Geschichte des Falles von P. (deutsch, das. 1865); v. d. Brüggen, Polens Auflösung (Leipz. 1878); Beer, Die erste Teilung Polens (Wien 1873, 3 Bde.); Ferrand, Les trois démembrements de la Pologne (Par. 1820; 2. Aufl. von Ostrowski, das. 1864, 3 Bde.); Charles Dany, Les idées politiques et l'esprit publicen Pologne à la fin du XVIII. siècle. La constitution du 3 mai 1791 (das. 1901); Kalinka, Der vierjährige polnische Reichstag (deutsche Ausg., Berl. 1896–98, 2 Bde.); Spazier, Geschichte des Aufstandes des polnischen Volkes 1830–1831 (Altenb. 1832 und Stuttg. 1834, 3 Bde.); v. Moltke, Darstellung der innern Verhältnisse Polens (Berl. 1832); Kunz, Der polnisch-russische Krieg von 1831 (das. 1890); v. Trotha, Der polnische Aufstand im Jahr 1863 (das. 1895); Kozmian, Das Jahr 1863 (deutsch, Wien 1896); Hover, Der polnische Aufstand des Jahres 1863 (Berl. 1904); Knorr, Die polnischen Aufstände seit 1830 (das. 1880); Sembratowycz, Polonia irredenta (Frankf. a. M. 1903); Geffcken, Preußen, Deutschland und die Polen (Berl. 1906); Kirmis, Handbuch der polnischen Münzkunde (Posen 1892); v. Zernicki-Szeliga, Die polnischen Stammwappen, ihre Geschichte und ihre Sagen (Hamb. 1903). – Quellenwerke: Bielowski, Monumenta medii aevi historica res gestas Poloniae illustrantia (Krakau 1874–1902, Bd. 1–16); »Scriptores rerum polonicarum« (das. 1872–1902, Bd. 1–18); Dembinski, Documents relatifs à l'histoire du deuxième et troisième partage de la Pologne (Teil 1, Lemb. 1902). Vgl. Zeißberg, Die polnische Geschichtschreibung im Mittelalter (Leipz. 1873).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 87-94.
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